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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Liebe zu sein. Morgen, dem Eleanor die Gabe ihres verletzten Ego und die Sorge für ihren Sohn anvertraut hatte. Knisternd vor Energie, die ihm die Furien lieferten, ging er wie eine Marionette an glitzernden Fäden auf den nackten Mann zu und schlug mit seinem kraftlosen Arm zu. Solanka fiel, wie eine Träne.
     

17
    Drei Wochen später stieg er aus einem Langstrecken-Airbus auf dem Blefuscu International Aerodrome in einen heißen, doch von einer sanften Brise gestreichelten Frühlingstag der südlichen Hemisphäre hinaus. Ein buntes Gemisch von Düften füllte seine Nase - Hibiskus, Oleander, Jakaranda, Schweiß, Exkremente, Motoröl. Jetzt erst wurde ihm die Riesentorheit dieses Unternehmens klar, traf ihn härter als der Schlag des pazifistischen Liebhabers seiner Frau, der Schwinger, der Pazifistenhaken, der ihn auf den Fußboden seines Schlafzimmers niedergestreckt hatte. Was hatte er sich nur dabei gedacht, ein ehrbarer und nun steinreicher Mann von fünfundfünfzig Jahren, um die halbe Welt hinter einer Frau herzujagen, die ihn buchstäblich auf den Brettern liegen gelassen hatte? Und schlimmer noch, warum ärgerte er sich so sehr darüber, daß die hiesigen Revolutionäre, Filbistanis, FRM, Fremen - warum konnten sie sich nicht endlich entscheiden, wie sie endgültig heißen wollten? - die Identität der von ihm ersonnenen Geschöpfe angenommen hatten, Feuerwehrmännern oder Arbeitern in Atomkraftwerken gleich, die wegen der Gefährdung an ihrem Arbeitsplatz in Schutzanzüge schlüpften? Die Kostüme der Marionettenkönige mochten zu einem Bestandteil dessen geworden sein, was in diesen Breiten derzeit vor sich ging, aber dafür war er nicht verantwortlich zu machen. »Du hast nichts mit diesen Ereignissen zu tun«, tadelte er sich selbst zum x-ten Mal, und ebenso oft erwiderte er sich: »Ach ja? Warum treibt sich dann dieser glatzköpfige Flaggenschwenker Babur mit meinem Mädchen herum und trägt dabei eine Latexmaske mit meinem Gesicht?«
    Die Maske der Zameen von Rijk war nach Neela Mahendras Vorbild geschaffen worden, das war deutlich zu sehen, aber im Fall Akasz Kronos hatte Solanka das Gefühl, daß eher das Gegenteil zutraf: Mit der Zeit war er seiner Kreation immer ähnlicher geworden. Das lange Silberhaar, der irre, vom Verlust gezeichnete Blick. (Den Mund hatte er schon immer gehabt.) Ein seltsames Maskenspiel wurde auf dieser entlegenen Inselbühne getrieben, und Professor Malik Solanka hatte sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß alle Aktionen ihn ganz persönlich betrafen, daß das große oder vielleicht auch triviale Drama seines möglicherweise bedeutenden, höchstwahrscheinlich aber recht erbärmlichen Lebens - immerhin aber seines Lebens! - hier im Südpazifik am Schauplatz seines letzten Aktes angelangt war. Das ergab keinen rechten Sinn, aber seit den ein wenig tragischen, hauptsächlich aber possenhaften Ereignissen in der Nacht der Furien hatte er sich in einem recht wirren Geisteszustand gefunden, nachdem er mit einem abgebrochenen Backenzahn, der ihn sehr schmerzte, sowie einem gebrochenen Herzen und einem verletzten Leben, das ihm noch größeren Kummer bereitete als der pochende Zahn, wieder zu Bewußtsein gekommen war. Auf dem Behandlungsstuhl beim Zahnarzt hatte er versucht, die Ohren vor dem Band früher Lennon-McCartney-Melodien und dem leichten Geplauder des neuseeländischen Steinbrechers zu verschließen, der sich tief in seinen Kiefer bohrte - irgendwie fiel ihm dabei ein, daß die Beatles sich zu Beginn ihrer Karriere die Quarrymen , Steinbrecher, genannt hatten. Er konzentrierte sich auf Neela: was sie wohl dachte, wie er sie zurückgewinnen konnte. Sie hatte gezeigt, daß sie in Herzensangelegenheiten ganz ähnlich war wie der Mann, der zu sein die Frauen ihm immer vorgeworfen hatten. Sie war da, bis sie nicht mehr da war. Wenn sie liebte, liebte sie zu hundert Prozent, rückhaltlos; aber ganz offensichtlich war sie auch eine Axtmörderin, ohne weiteres dazu fähig, einer unvermittelt beendeten Liebe den Kopf abzuschlagen. Mit seiner Vergangenheit konfrontiert - einer Vergangenheit, die seiner Meinung nach überhaupt nichts mit seiner Liebe zu ihr zu tun hatte -, hatte sie ihre Sollbruchstelle erreicht; sie hatte ihre Kleider angezogen, war gegangen und hatte fast sofort einen Vierundzwanzigstundenflug quer über den Globus angetreten, ohne sich telefonisch nach seinem Kinn zu erkundigen, ohne ein liebevolles Abschiedswort oder vielleicht das behutsame

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