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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Versprechen, später, wenn die Geschichte es erlaubte und ihr ein bißchen mehr Zeit ließ, versuchen zu wollen, alles wieder zu kitten. Aber sie war auch eine Frau, die wußte, was es hieß, verfolgt zu werden. War möglicherweise sogar ein bißchen süchtig danach. Auf jeden Fall - redete sich Solanka ein, während der ratternde Preßlufthammer des Neuseeländers an seinem Kinn herumwerkelte - war er es sich schuldig, eine so bemerkenswerte Frau, wie er sie gefunden hatte, nicht durch einen eigenen Fehler zu verlieren.
    Gen Osten fliegen hieß der Zukunft entgegeneilen - die jetgetriebenen Stunden rasten viel zu schnell vorbei, der folgende Tag kam auf Flügeln näher -, aber es war ein Gefühl wie eine Rückkehr in die Vergangenheit. Er reiste vorwärts ins Unbekannte und zu Neela, doch während der ersten Hälfte des Fluges drängte sich die Vergangenheit in sein Herz. Als er Bombay unter sich sah, setzte er eine Schlafmaske auf und schloß die Augen. Die Maschine legte in seiner Geburtsstadt eine Zwischenlandung von einer vollen Stunde ein, er aber lehnte eine Transitkarte ab und blieb an Bord. Selbst auf seinem Platz war er jedoch vor seinen Gefühlen nicht sicher. Die Schlafmaske nützte überhaupt nichts. Eine Putzkolonne kam an Bord, schwatzend und klappernd, eine Gruppe von Frauen in schäbigen roten und rosa Farben, und mit ihnen kam Indien wie eine Krankheit: ihre aufrechte Haltung, der laute, nasale Lärm ihrer Gespräche, ihre Staubwedel, ihre harten Arbeiteraugen, der vertraute Duft halb vergessener Salben und Gewürze - Kokosnußöl, Griechisch Heu, Kolonji -, der auf ihrer Haut haftete. Ihm wurde schwindlig, er rang nach Luft, als leide er an der Flugkrankheit, obwohl es ihm auf einem Flug niemals schlecht wurde, die Maschine schließlich auf dem Boden stand, um aufgetankt zu werden, und alle Motoren abgeschaltet waren. Erst als sie nach dem Takeoff nach Osten über das Hochland von Dekhan flogen, konnte er wieder richtig atmen. Als wieder Wasser unter ihnen war, begann er sich ein wenig zu entspannen. Neela hatte mit ihm nach Indien gehen wollen, freute sich bei der Vorstellung, das Land ihrer Vorfahren mit dem Mann ihrer Wahl zu entdecken. Der Mann ihrer Wahl, das war er gewesen, daran mußte er sich klammern. »Ich hoffe«, hatte sie sehr ernst zu ihm gesagt, »daß du der letzte Mann bist, mit dem ich jemals schlafen werde.« Die Macht derartiger Versprechungen ist groß, und im Banne ihres Zaubers hatte er sich dem Glauben hingegeben, daß die Vergangenheit ihrer Macht beraubt werden könnte - beraubt worden war -, so daß in der Zukunft alles erreicht werden konnte. Nun aber war Neela verschwunden wie die Assistentin eines Zauberkünstlers, und seine Kraft war mit ihr vergangen. Ohne sie, davon war er überzeugt, würde er nie wieder die Straßen Indiens betreten.
    Das Aerodrom war, wie schon sein Name andeutete, etwas, das Touristen, die sich von gar nichts abschrecken ließen, als antik oder malerisch bezeichnen würden. In Wirklichkeit war es ein Schweinestall, heruntergekommen, stinkend, mit feuchtem Gemäuer und fünf Zentimeter großen Kakerlaken, die unter den Schuhen wie Nußschalen krachten. Es hätte vor Jahren schon abgerissen werden sollen und war tatsächlich zum Abriß freigegeben worden - schließlich lag es auf der falschen Insel, und die Shuttle-Hubschrauber, die ihn mit der Hauptstadt Mildendo verbanden, sahen ziemlich ramponiert aus -, aber der neue Flughafen, GGI (Golbasto Gue Intercontinental), hatte den alten überholt, indem er einen Monat nach seiner Fertigstellung einfach einstürzte, was darauf zurückzuführen war, daß die hiesigen Indo-Lilly-Baufirmen hinsichtlich des beim Betonmischen lebenswichtigen korrekten Verhältnisses von Wasser und Zement eine neue, äußerst phantasievolle und zugleich finanziell gewinnträchtige Auffassung vertreten hatten.
    Dieser kreative Geist stellte sich als Teil des Lebens in Lilliput-Blefuscu heraus. Professor Solanka betrat die Zollhalle des Aerodroms von Blefuscu, und sofort begannen sich aus Gründen, die er, obwohl vom Flug erschöpft und denkunfähig vor Kopfschmerzen, vorausgesehen hatte und sogleich verstand, alle Köpfe nach ihm zu drehen. »Nicht möglich. Nicht möglich. Wir haben keine Anmeldung. Sie sind wer? Ihr Name bitte?« sagte er argwöhnisch und streckte die Hand nach Solankas Paß aus. »Habe ich mir gedacht«, sagte der Beamte schließlich. »Sie sind es nicht.« Das war, gelinde gesagt, gnomisch, aber Solanka

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