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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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dieses Zeitalters der Abbilder und Fälschungen, in dem man jedes Vergnügen, das Frauen und Männer kennen, als synthetischen Ersatz finden kann, sicher vor Krankheit oder Schuldbewußtsein - eine kalorien- und ballaststoffarme, brillant gefälschte Version der schwerfälligen Welt aus echtem Blut und Mut. Imitierte Erlebnisse, die so wunderbar sind, daß man sie den echten jederzeit vorzieht. Das war ich: ihr Falsifikat.
    Es war siebzehn Minuten nach drei Uhr morgens. Mila, in Trenchcoat und Stiefeln, setzte sich auf die Bettkante. Malik Solanka stöhnte. Katastrophen geschahen immer, wenn man am wenigsten verteidigungsbereit war: machten genauso blind wie die Liebe. »Erzähl’s ihr«, forderte Mila ihn auf und akzeptierte zum erstenmal Neelas Existenz. »Erklär ihr, warum du mir die Schlüssel zu deinem kleinen Königreich hier gegeben hast. Erklär ihr das Kissen auf deinem Schoß.« Mila hatte sich sorgfältig auf diese Konfrontation vorbereitet. Sie löste den Gürtel ihres Trenchcoats, ließ den Mantel fallen und zeigte sich - ausgerechnet - in einem idiotisch kurzen Baby-Doll-Nachthemd. Das war ein klassischer Fall des Benutzens von Kleidung als tödliche Waffe: Die verletzte Mila in tödlicher Entkleidung. »Na los, Papi«, drängte sie ihn. »Erzähl ihr von uns. Erzähl ihr von Mila am Nachmittag.«
    »Ja, bitte«, setzte Eleanor Masters Solanka grimmig hinzu und schaltete das Licht an, während sie hereinkam, begleitet von der untersetzten, grauhaarigen, bebrillten, blinzelnden Buddhisteneule, seinem Ex-Freund Morgen Franz. »Ich bin sicher, daß uns das alle interessieren wird.« Na, wunderbar, dachte Malik. Meine Tür scheint wohl für alle offenzustehen. Bitte sehr, kommt nur herein, alle zusammen, achtet nicht auf mich, macht es euch bequem. Eleanors glattes, kastanienbraunes Haar hing länger herab denn je; sie trug einen langen, hochgeschlossenen Kaschmirmantel, und ihre Augen flammten. Für drei Uhr morgens sieht sie phantastisch aus, stellte Malik fest. Außerdem bemerkte er, daß Morgen Franz ihre Hand hielt; und daß Neela aus seinem Bett stieg, um sich mit eiskalter Ruhe anzuziehen. Auch ihre Augen flammten, und Milas waren natürlich ohnehin leuchtend rot. Solanka schloß die eigenen Augen, legte sich zurück und zog sich, wegen der auf einmal grellen Beleuchtung im Zimmer, ein Kissen übers Gesicht.
    Eleanor und Morgen hatten Asmaan bei seiner Großmutter untergebracht und waren am Nachmittag auf dem JFK- Flughafen gelandet. Sie waren in einem Hotel in Midtown New York abgestiegen, um am folgenden Morgen mit Solanka Kontakt aufzunehmen und ihn mit ihren veränderten Lebensumständen bekannt zu machen. (Das hatte Solanka wenigstens im voraus geahnt: oder vielmehr, Asmaan hatte ihn informiert.) »Jedenfalls konnte ich nicht schlafen«, sagte Eleanor, an das Kissen gerichtet. »Also dachte ich, verdammt noch mal, ich gehe hin und wecke ihn auf. Wie ich jedoch sehe, hast du bereits Besuch; und das macht es mir viel leichter, dir das zu sagen, weswegen ich gekommen bin.« Ihre Stimme war jetzt alles andere als sanft geworden. Sie hatte die Fäuste so fest geballt, daß ihre Handknöchel weiß wurden. Sie gab sich große Mühe, die Kontrolle über ihre Stimme zu behalten. Jeden Moment nun würde sie den Mund öffnen und statt Worten den ohrenbetäubenden, weltzerstörenden Schrei einer Furie ausstoßen.
    Ich hätte es wissen müssen, dachte Solanka und zog sich das Kissen fester aufs Gesicht. Welche Chance hatte ein Sterblicher gegen die tückische Bosheit der Götter? Hier waren sie, die drei Furien, die »Gutmütigen« höchstselbst, und hatten ganz und gar Besitz ergriffen von den Körpern jener Frauen, denen sein Leben zutiefst verbunden war. Ihre äußerliche Gestalt war nur allzu vertraut, aber das Feuer, das aus den Augen dieser verwandelten Wesen sprühte, bewies, daß sie nicht mehr die Frauen waren, die er gekannt hatte, sondern ihn in die Unterwelt der Upper West Side zogen ... »Verdammt noch mal, komm aus dem Bett!« fuhr Neela Mahendra ihn an. »Steh sofort auf, damit wir dich kurz und klein schlagen können.« Splitternackt kam Professor Malik Solanka unter den flammenden Blicken der Frauen, die er geliebt hatte, auf die Füße. Die Wut, die ihn bisher besessen hatte, war nun die ihre; und Morgen Franz wurde in dieses Kraftfeld hineingesogen, Morgen, der so wenig stolz auf sein eigenes Verhalten sein konnte, der allerdings aber auch gelernt hatte, was es hieß, ein Diener der

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