Wut
Rhineharts Sucht und Achillesferse, und dies war Das Tal der Zuckerpuppen . Nein: Es war der Berg, der Everest der Zuckerpuppen, das legendäre Zuckerpuppen-Füllhorn. Kreuzten diese Frauen seinen Weg, die Christies und Christys, die Kristens und Chrysteles, die Gigantinnen, von denen die meisten auf diesem Planeten träumten, mit denen selbst Castro und Mandela bereitwillig posierten, legte sich Rhinehart ihnen sofort zu Füßen (oder machte Männchen) und begann zu betteln. Unter den endlosen Schichten von Rhineharts coolem Gehabe lag ein unwürdiger Fakt: Er war verführt worden, und seine Sehnsucht, in diesen Club des Weißen Mannes aufgenommen zu werden, war das dunkle Geheimnis, das er niemandem eingestehen konnte, vielleicht nicht einmal sich selbst. Das sind die Geheimnisse, aus denen der Zorn erwächst. In diesem dunklen Samenbeet gedeiht die Wut. Und obwohl Jacks Verhalten eisengestählt war, obwohl seine Maske niemals verrutschte, war Solanka sicher, in den brennenden Augen des Freundes das selbstverachtende Feuer seiner Wut lodern zu sehen. Er brauchte lange, um einzusehen, daß Jacks unterdrückte Wut das Spiegelbild seiner eigenen war.
Rhineharts Jahreseinkommen rangierte momentan in der mittleren bis oberen Spanne der sechsstelligen Zahlen, doch er beschwerte sich nur halb scherzend, häufig zu wenig Cash zu haben. Bronislawa hatte drei Richter und vier Anwälte verbraucht und während dieser Zeit eine Jarndyce -ähnliche Begabung - sogar das, dachte Solanka, ein indisches Genie - für die Behinderung des Gerichts und für Verzögerungstaktiken entdeckt. Darauf war sie (womöglich buchstäblich) wahnsinnig stolz. Sie hatte gelernt, die Geschichte zu drehen, zu wenden und zu verzerren. Als praktizierende Katholikin verkündete sie anfangs, sie werde nicht die Scheidung von Rhinehart beantragen, obwohl er ein maskierter Teufel sei. Der Teufel, erklärte sie ihren Anwälten, sei klein, weiß, trage einen grünen Frack, Pferdeschwanz und hochhackige Slipper und ähnele sehr stark dem Philosophen Immanuel Kant. Aber er könnte jegliche Gestalt annehmen, die einer Rauchsäule, eines Spiegelbildes oder eines großen schwarzen, hektisch-energischen Ehemanns. »Ich werde mich an Satan rächen«, erklärte sie den verdutzten Anwälten, »indem ich ihn als Gefangenen meines Ringes behalte.« In New York, wo es nur wenige legale, streng definierte Scheidungsgründe gab und die einvernehmliche Scheidung nicht existierte, hatte Rhinehart einen schlechten Stand gegenüber seiner Frau. Er versuchte es mit Überredungskunst, mit Bestechung, mit Drohungen. Sie blieb hartnäckig und dachte nicht daran, die Scheidung einzureichen. Schließlich zog er vor Gericht, worauf sie brillant und entschlossen mit einer erstaunlichen, fast mystischen Ruhe reagierte. Die Grausamkeit ihres passiven Widerstands hätte vermutlich sogar Gandhi beeindruckt. Sie kam mit einer jahrzehntelangen Reihe psychologischer und physischer Zusammenbrüche durch, die in der minderwertigsten Seifenoper als übertrieben aufgefallen wären, und war siebenundvierzig Mal wegen Mißachtung des Gerichts ermahnt worden, ohne daß sie jemals verhaftet worden wäre, weil Rhinehart nicht bereit war, das Gericht aufzufordern, gegen sie vorzugehen. Also bezahlte er mit Mitte Vierzig noch immer für die Sünden, die er mit Mitte Dreißig begangen hatte. Inzwischen fuhr er mit seiner Promiskuität fort und pries die Stadt für ihre reiche Beute. »Für einen Junggesellen mit ein paar Piepen auf der Bank und einer Vorliebe für Parties ist dieses kleine, den Manahattos gestohlene Stück Land wahrlich ein üppiger und reicher Jagdgrund.«
Aber er war kein Junggeselle. Und in diesen elf Jahren hätte er eindeutig zum Beispiel über die Grenze nach Connecticut ziehen können, wo es einvernehmliche Scheidungen gab, oder die etwa sechs Wochen Zeit finden, die erforderlich waren, um sich legal in Nevada niederzulassen, um diesen gordischen Knoten durchzuhauen. Das aber hatte er nicht getan. Einmal, angetrunken, hatte er Solanka anvertraut, daß es in dieser Stadt, die den dankbaren Mann so großzügig mit Multiple-Choice-Optionen zum Ausgehen versorgte, doch einen dicken Haken gab. »Sie wollen alle die großen Worte«, protestierte er. »Sie wollen ewig, ernsthaft, tief, langfristig. Wenn keine große Leidenschaft dahinter ist, passiert nichts. Deswegen sind sie alle so einsam. Es gibt nicht genug Männer für sie, aber wenn sie nicht kaufen können, wollen sie auch
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