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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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einem irregeleiteten kollektivistischen Teamgeist paranoider panislamischer Solidarität, den Benutzern der New Yorker Straßen die Schuld an den Leiden der muslimischen Welt. Zwischen seinen Flüchen redete er über Funk mit dem Bruder seiner Mutter: »Jawohl, Onkel. Jawohl, sehr vorsichtig, natürlich Onkel. Jawohl, der Wagen kostet Geld. Nein, Onkel. Jawohl, immer höflich, Onkel, du kannst dich auf mich verlassen. Jawohl, die beste Diplomatie. Ich weiß.« Und fragte Solanka gleichzeitig ein wenig verlegen nach dem Weg. Es war der erste Arbeitstag des Jungen in diesen schwierigen Straßen, und er hatte eine Heidenangst. Solanka, selbst hochgradig erregt, war gleichbleibend freundlich zu dem Geliebten, sagte aber, als er am Verdi Square ausstieg: »Das nächste Mal vielleicht ein bißchen weniger von diesem Gossenjargon, okay, Ali Majnu? Ein bißchen gedämpfter die Flüche. Manche Kunden könnten beleidigt sein. Selbst solche, die kein Wort verstehen.«
    Der Junge starrte ihn verständnislos an. »Ich, Sir? Ich hätte geflucht? Aber wann denn?« Das war merkwürdig. »Die ganze Zeit«, antwortete Solanka. »Und auf alle und jeden in Hörweite. Motherfucker, Jude, das übliche Repertoire. Urdu «, ergänzte er auf Urdu, um die Dinge klarzustellen, » meri madri zaban hai. « Urdu ist meine Muttersprache. Der Geliebte wurde rot, tiefrot, die Farbe verbreitete sich bis auf den Kragenrand hinunter, und er begegnete Solankas Blick mit einem verwirrten, unschuldigen Ausdruck in den dunklen Augen. »Wenn Sie’s gehört haben, Sahib, dann wird’s wohl stimmen. Aber, Sir, verstehen Sie, ich hab’s selber nicht gemerkt.« Solanka verlor die Geduld und wandte sich zum Gehen. »Spielt keine Rolle«, sagte er. »Autokoller. Du hast dich hinreißen lassen. Ist nicht so wichtig.« Als er davonging, auf dem Broadway, rief der geliebte Ali ihm pikiert, Verständnis heischend nach: »Es hat nichts zu bedeuten, Sahib. Ich geh nicht mal in die Moschee. Gott segne Amerika, okay? Es sind nur Worte.« Ja, und Worte sind nicht Taten, räumte Solanka ein, während er verärgert davonging. Obwohl Worte zu Taten werden können. Am richtigen Ort und zur richtigen Zeit gesprochen, können sie Berge versetzen und die Welt verändern. Und nicht zu wissen, was man tat - die Taten von den Worten zu trennen, die sie definieren -, wurde offenbar zu einer akzeptablen Ausrede. Zu sagen, ich hab’s nicht so gemeint , hieß, seinen Missetaten die Bedeutung zu nehmen, wenigstens nach Meinung der geliebten Alis dieser Welt. Konnte das sein? Offensichtlich nicht. Nein, es konnte einfach nicht sein. Viele Leute würden sagen, selbst eine Tat aufrichtiger Reue könne ein Verbrechen nicht wieder gutmachen, geschweige denn diese undefinierbare Sprechblase - eine unendlich viel schwächere Ausrede, nichts weiter als das Eingeständnis einer Ignoranz, die auf keiner Skala des Bedauerns verzeichnet ist. Erschrocken erkannte sich Solanka in dem törichten jungen Ali Majnu selbst wieder: sowohl die Vehemenz als auch die leeren Stellen in seiner Vergangenheit. Aber er entschuldigte sich nicht. In Jack Rhineharts Wohnung, bevor der umwerfende Auftritt Neela Mahendras zu einem Themenwechsel führte, hatte er, wiewohl die Tiefe seiner Beunruhigung kaschierend, Rhinehart ein wenig von seiner Angst vor dem terroristischen Zorn, der ihn immer wieder in Geiselhaft nahm, anzuvertrauen versucht. Jack, in sein Fußballspiel vertieft, nickte zerstreut. »Deine Zündschnur scheint immer schon ziemlich kurz gewesen zu sein«, sagte er. »Ich meine, das ist dir doch klar, oder? Du weißt doch, wie oft du die Leute am Morgen nach einer deiner kleinen, alkoholisierten Explosionen angerufen hast, um dich zu entschuldigen - wie oft du mich angerufen hast. Die Gesammelten Apologien des Malik Solanka. Ich glaube, das würde ein interessantes Buch. Repetitiv, vielleicht, aber mit zahlreichen komischen Glanzpunkten.«
    Einige Jahre zuvor hatten die Solankas im Cottage in The Springs Urlaub gemacht, zusammen mit Rhinehart und seiner damaligen Kellnerin , einer zierlichen Südstaaten-Schönheit - aus Lookout Mountain, Tennessee, Schauplatz der Bürgerkriegs- Schlacht über den Wolken die eine Doppelgängerin der Comic-Sexbombe Betty Boop war und die Rhinehart liebevoll Roscoe nannte, nach Lookout Mountains einziger lebender Berühmtheit, dem wuchtig servierenden Tennisspieler Roscoe Tanner, obwohl sie diesen Spitznamen haßte. Das Cottage war so klein, daß man möglichst viel Zeit

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