Wut
fern davon verbringen mußte. Eines Abends, nach einer ausgedehnten Männertrinkrunde in einer East Hamptoner Kneipe, hatte Solanka darauf bestanden, die anderen mitten in einem schweren Platzregen nach Hause zu fahren. Was dazu führte, daß eine Zeitlang unbeschreibliche Angst im Auto herrschte. Dann sagte Rhinehart, so behutsam er konnte: »Hier in Amerika fahren wir auf der anderen Straßenseite, Malik.« Solanka war aus der Haut gefahren, hatte, aufgebracht über die Respektlosigkeit seinen Fahrkünsten gegenüber, den Wagen angehalten und Rhinehart gezwungen, im strömenden Regen zu Fuß nach Hause zu gehen. »Das war eine deiner schönsten Entschuldigungen«, erinnerte Jack ihn jetzt. »Vor allem, weil du dich am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern konntest, überhaupt etwas falsch gemacht zu haben.«
»Ja«, murmelte Solanka, »aber jetzt habe ich diese Black-outs ohne Schnaps. Und die Zornesausbrüche bewegen sich auf einer völlig anderen Ebene.« Während er sprach, rauschte der Lärm im Fernsehen auf, forderte Rhineharts Aufmerksamkeit ein, und das Geständnis blieb ungehört. »Ach, und du weißt ja nicht, wie sehr sich deine Freunde bemühen, gewisse Themen in deiner Gegenwart zu meiden«, nahm Rhinehart ein wenig später den Faden wieder auf. »US-Politik in Mittelamerika, zum Beispiel. US-Politik in Südostasien. Eigentlich sind die Vereinigten Staaten insgesamt seit Jahren fast ein Tabu gewesen, also glaub ja nicht, ich hätt’ mich nicht schlapp gelacht, als du deinen Arsch wieder in den Schoß des Großen Satans persönlich gebettet hast.« Ja, aber was falsch ist, ist falsch, wollte Solanka sagen, der den Köder sofort schluckte, und wegen der gottverdammten, grenzenlosen Macht Amerikas, der immensen beschissenen Verlockung Amerikas, kommen diese Schweine an den Schaltstellen damit durch, daß sie ... »Siehst du? Es geht schon los.« Rhinehart zeigte mit dem Finger auf ihn und kicherte. »Dir schwillt schon der Kamm. Blutrot, dann dunkelrot, dann fast schwarz. Ein Herzanfall droht. Und weißt du, wie wir das nennen, wenn es passiert? Solankert werden. Maliks Chinasyndrom. Eine verfickte, beschissene Kernschmelze ist das, ehrlich. Ich meine, mein Freund, ich bin der Mann, der wirklich da war , in diesen Ländern, und der die schlechten Nachrichten mitgebracht hat, aber das hindert dich nicht daran, mir das alles vorzuhalten, wegen meiner Staatsbürgerschaft, die mich in deinen verrückten Augen für all das mächtig Böse verantwortlich macht, das in meinem armen Namen immer wieder getan wird.«
Alter schützt vor Torheit nicht. Also sind ich und der geliebte Ali im Grunde doch einander ähnlich, dachte Solanka demütig. Nur ein paar kleine, oberflächliche Unterschiede im Vokabular und in der Bildung. Nein: Er war schlimmer, weil der Geliebte nur ein Bengel am ersten Tag im neuen Job war, während er, Solanka, zu etwas Schrecklichem und vielleicht Unkontrollierbarem wurde. Die bittere Ironie war, daß seine alte Kampfbereitschaft, seine offenbar komische Unbeherrschtheit selbst seine Freunde für die große Veränderung der Dinge blind machte, für die gräßliche Entartung, die gegenwärtig stattfand. Dieses Mal kam der Wolf wirklich, und niemand, nicht einmal Jack, hörte auf seine Warnrufe. »Außerdem«, triumphierte Rhinehart fröhlich, »weißt du noch, wie du diesen, wie hieß er noch, einfach rausgeworfen hast, nur weil er Philip Larkin falsch zitiert hat? Mann! Du hast also Krach mit deinen Nachbarn? Donnerwetter! Du kriegst die Titelseite!« Wie konnte Malik Solanka mit diesem fröhlichen Freund über Selbstverleugnung sprechen: wie ihm sagen, Amerika ist der große Nimmersatt, und ich bin nach Amerika gekommen, um mich verschlingen zu lassen? Wie konnte er sagen, ich bin ein Messer im Dunkeln; ich gefährde jene, die ich liebe?
Solankas Hände juckten. Selbst seine Haut ließ ihn im Stich. Er, dessen Babypopohaut die Frauen immer dazu gebracht hatte, ihn zu bewundern und ihm neckisch vorzuwerfen, er habe ein behütetes Leben in Wohlstand geführt, hatte in letzter Zeit an einem unangenehmen Ausschlag entlang des Haaransatzes und, am unangenehmsten, an beiden Händen gelitten. Die Haut rötete sich, wurde rauh und riß. Bisher hatte er noch keinen Dermatologen aufgesucht. Bevor er Eleanor verlassen hatte, die schon ihr Leben lang an Ekzemen litt, hatte er ihre Hausapotheke durchsucht und zwei dicke Tuben Hydrocortisonsalbe an sich genommen. Im Duane Reade kaufte er eine
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