Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
Rollen abgeleitet, die die Vorfahren des jeweiligen Besatzungsmitgliedes auf dem halblegendären Schiff gespielt hatten; man erklärte ihm, daß diese Klassen Funktion und Nützlichkeit der jeweiligen Person definierten, nicht aber Machtfülle und Status. So seien zum Beispiel die Offiziere nicht die herrschende Klasse, sondern nur die Diener der übrigen Besatzung, die eine schwere Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Infrastruktur auf dem Floß trügen. Demzufolge sei der Kapitän die geringste Person, niedergedrückt von der schwersten Last.
    Das sagte man ihm.
    Zunächst einmal war Rees, dessen Erfahrung mit der menschlichen Gesellschaft bisher auf die rauhe Umwelt auf dem Gürtel beschränkt gewesen war, geneigt, all das, was man ihm so feierlich erklärte, zum Nennwert zu nehmen, und er tat den arroganten Sadismus von Doav und Konsorten als Zeichen von Unreife ab. Als sein Erfahrungshorizont sich jedoch erweiterte, als sein Verständnis – gespeist aus offiziellen und inoffiziellen Quellen – wuchs, begann sich bei ihm ein ganz anderes Bild zu formen.
    Natürlich konnte theoretisch jeder junge Mann Offizier werden, auch wenn er nicht aus einer Offiziersfamilie stammte. In der Praxis geschah das jedoch seltsamerweise nie. Die anderen Klassen, die durch die Erblichkeit des Offiziersranges von dieser Laufbahn ausgeschlossen waren, reagierten darauf, indem sie sich nach Kräften ihre eigene Machtbasis schufen. So hatte das für die Infrastruktur zuständige Personal die Konstruktionsdetails des Floßes in ein geheimnisvolles Mysterium verwandelt, das nur Eingeweihten bekannt war; und wenn sie nicht von ihren Anführern -Männern wie Decker, der Bekannte von Pallis – in Schach gehalten worden wären, hätten sie ihre Macht dazu mißbraucht, die Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln zu kontrollieren, die Abwasserkanäle zu blockieren oder auf hundert anderen Arten das Floß zu sabotieren.
    Sogar die Wissenschaftler, deren eigentlicher Lebenszweck darin bestand, den Dingen auf den Grund zu gehen, waren gegen diese Machtkämpfe nicht immun.
    Die Wissenschaftler waren für das Überleben des Floßes die entscheidenden Leute. Bei Dingen wie der Steuerung des Floßes, der Bekämpfung von Krankheiten und der Neukonstruktion von einzelnen Sektionen des Floßes waren ihr Wissen und ihre strukturierte Denkweise unentbehrlich. Und ohne das von den Wissenschaftlern überlieferte Wissen – das erklärte, wie das Universum funktionierte und wie die Menschen in ihm überleben konnten – würde das fragile soziale und technische Gefüge des Floßes innerhalb einiger Tausend Schichten zerbrechen. Rees sagte sich, daß es nicht die Umlaufbahn um den Kern des Nebels war, die den Bestand des Floßes garantierte, sondern die Kontinuität des menschlichen Verstandes.
    So trugen die Wissenschaftler eine lebenswichtige, fast heilige Verantwortung. Das aber, so überlegte Rees, hinderte sie nicht daran, noch den letzten Rest ihres kostbaren Wissens genauso skrupellos zu ihrem Vorteil auszunutzen wie irgendeiner von Deckers Arbeitern, der einen Abwasserkanal aufstaute. Die Wissenschaftler hatten die erklärte Verpflichtung, jeden Anwärter mit zukünftiger Vorgesetztenfunktion auszubilden, unabhängig von der Klasse, zu der er gehörte; und das taten sie auch – bis zu einem gewissen Grad. Aber nur die wissenschaftlichen Assistenten wie Rees durften ihre Erkenntnisse über den reinen Vorlesungsstoff hinaus erweitern und wirklich einen Blick auf die alten Instrumente und Bücher werfen.
    Wissen wurde gehortet. Und so hatte niemand in etwa eine realistische Vorstellung davon, wo die Menschen herkamen, ja nicht einmal von der Beschaffenheit des Floßes und des Nebels – mit Ausnahme der Besatzungsmitglieder, die in der Nähe der Wissenschaftler arbeiteten. Den Unterhaltungen in den Kantinen und in den Schlangen vor den Versorgungsmaschinen hatte Rees entnommen, daß die meisten Menschen mehr an der Größe der schichtweise ausgegebenen Proviantrationen und an den Ergebnissen irgendwelcher Sportwettbewerbe interessiert waren als an den weiterreichenden Fragen des Überlebens ihrer Rasse. Sie taten so, als ob der Nebel ewig bestehen würde, als ob das Floß selbst auf einem Stahlpfeiler ruhen würde, sicher bis an das Ende der Zeiten.
    Die Masse der Menschen war unwissend, getrieben von Moden, Launen und den Einflüsterungen von Agitatoren – sogar auf dem Floß. Was die menschlichen Kolonien außerhalb des

Weitere Kostenlose Bücher