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Xeelee 3: Ring

Xeelee 3: Ring

Titel: Xeelee 3: Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Louise, als Gillibrand ihr eröffnete: »Der Flug nach Tau Ceti findet nicht statt.«

3

    DIE ALTE FRAU beugte sich auf ihrem Platz neben Kevan Scholes vor.
    Die Oberfläche der Sonne, die kaum sechzehntausend Kilometer von der transparenten Kabine der Lightrider entfernt brodelte, zog sich wie ein Boden durch das Universum. Die Photosphäre wirkte wie eine körnige Landschaft, wobei jedes dieser Körner groß genug gewesen wäre, die Erde zu verschlucken, und die Chromosphäre – die sechzehnhundert Kilometer dicke äußere Atmosphäre lag wie ein leichter Dunst über der Szenerie.
    Scholes konnte sich einen Blick auf die Nachbarin nicht verkneifen. Ihre Körperhaltung war steif, und die Hände – akkurat über dem Sicherheitsgurt im Schoß gefaltet – waren hager, wobei die Haut von Leberflecken übersät war und lose um die Knochen hing. Wie Handschuhe, dachte er. Sie trug einen schlichten silbergrauen Overall, der als einzige Dekoration eine Brosche auf der Brust aufwies. Die Brosche stellte eine stilisierte Schlange dar, die sich um eine goldene Leiter wickelte.
    Das kleine Schiff überflog ein Korn der Photosphäre; Scholes sah geistesabwesend zu, wie es sich unter ihnen entfaltete. Erhitzter Wasserstoff wallte mit einer Geschwindigkeit von fast einem Kilometer pro Sekunde aus dem Sonneninneren auf und verteilte sich über die Oberfläche der Photosphäre. Diese Gasquelle hatte einen Durchmesser von etwa anderthalbtausend Kilometern, und in ihrem Orbit, der die Photosphäre fast touchierte, bewegte sich die Lightrider so schnell, daß sie das Korn nach wenigen Minuten überflogen hatte. Und als Scholes sich umdrehte, sah er, daß sich das Korn bereits wieder auflöste und der dagegen anbrandende Wasserstoffschwall versiegte. Die einzelnen Körner hatten eine durchschnittliche Lebensdauer von nicht einmal zehn Minuten.
    »Wie schön das ist«, befand seine Begleiterin beim Blick hinunter auf die Sonne. »Und wie komplex – wie kompliziert, wie eine riesige Maschine oder gar eine ganze Welt.« Sie wandte sich ihm zu, wobei ihr Mund – umgeben von einem dichten Netz aus Falten – zusammengepreßt war. »Ich könnte mir vorstellen, den Rest meines Lebens nur mit der Betrachtung der langsamen Metamorphose dieser Oberfläche zu verbringen.«
    Scholes ließ den Blick über die wabernde Sonne schweifen. Die Photosphäre war eine Masse in zäher Bewegung, die an die Oberfläche einer leicht köchelnden Flüssigkeit erinnerte. Die Körner, einzelne Konvektionszellen, waren ihrerseits in lockere Verbände integriert: Supergranulat mit einem Durchmesser von mehr als zehntausend Kilometern, das durch dünne, mobile Wände aus Edelgas grob fixiert wurde. Er sah, wie ein Korn explodierte und seine Materie plötzlich über die Oberfläche der Sonne versprühte; benachbarte Körner wurden verdrängt, so daß eine glühende, amorphe Narbe auf der Oberfläche zurückblieb, eine Narbe, die durch die Eruption neuer Körner langsam verheilte.
    Scholes betrachtete seine Begleiterin. Das Licht der Sonne konturierte ihr Gesicht und vertiefte die Linien und lockeren Fleischfalten. Es ließ sie beinahe dämonisch erscheinen – oder wie ein Relikt einer entfernten, besseren Vergangenheit. Sie sah ihn schweigend an und schien eine Reaktion von ihm zu erwarten, und er spürte, daß es mit seiner üblichen Schnoddrigkeit – mit der er im solaren Habitat für gewöhnlich seine Konversation bestritt – jetzt nicht getan war.
    Nicht bei ihr.
    Mit etlicher Anstrengung brachte er ein Lächeln zustande.

    »Ja, es ist schön. Aber…« Scholes hatte einen Großteil der vergangenen fünf Jahre in einer Entfernung von anderthalb Millionen Kilometern zur Sonne verbracht und hatte dennoch gerade erst begonnen, sich an die ewige Präsenz des Sterns zu gewöhnen. »Man kann unmöglich vergessen, daß sie da ist… Vermutlich selbst dann nicht, wenn ich in Thoth bin, dem größten im Raum schwebenden Habitat in der Nähe der Wurmloch-Portale, und die Wände abgedunkelt habe – wenn ich mich im Grunde sonstwo im System befinden könnte.« Er zögerte in plötzlicher Verlegenheit; ihre kalten, wäßrigen Augen musterten ihn prüfend. »Es tut mir leid. Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken könnte.«
    Erschien da der Anflug eines Lächelns auf diesem verwüsteten Gesicht? »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.«
    Kevin Scholes hatte sich freiwillig für diesen Auftrag gemeldet – eine banale dreistündige Tour im Orbit mit dieser

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