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Xeelee 3: Ring

Xeelee 3: Ring

Titel: Xeelee 3: Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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entschieden. »Aber darauf kommt es auch überhaupt nicht an, Dr. Scholes. Ihr Auftrag besteht darin, genau das zu tun, was Sie bisher schon getan haben: Mir alles Sehenswerte zu zeigen und mich die Sonne aus einer menschlichen Perspektive fühlen zu lassen.«
    Eine menschliche Perspektive?
    Sie drehte sich um und schaute ihm ins Gesicht; so wäßrig ihr Blick auch war, war er dennoch klar, beunruhigend und zwingend. »Aber Ihre Neugier hinsichtlich meiner Rolle ist es gar nicht, was Sie so irritiert. Stimmt’s?«
    »Ich…«
    »Es ist mein Alter.«
    Erneut grinste sie, mit Absicht – so kam es ihm jedenfalls vor –, und präsentierte ihre grotesken, gelblichen Zähne. »Ich habe gesehen, wie Sie mich aus dem Augenwinkel musterten… Keine Sorge, Kevan Scholes, ich bin nicht beleidigt. Mein Alter ist das Thema, das Sie geflissentlich übergangen haben, seit ich an Bord Ihres fliegenden Kühlschranks gegangen bin.«
    Er wurde ärgerlich. »Sie machen sich über mich lustig.«
    Sie schnaufte. »Selbstverständlich tue ich das. Aber es ist doch die Wahrheit, oder?«
    Er versuchte, seinen Unmut zu verhehlen. »Welche Reaktion hätten Sie denn sonst erwartet?«
    »Äh… zumindest Ehrlichkeit. Ich hatte nämlich nichts weniger als Ihre morbide Faszination erwartet.« Sie hob die Hände und studierte sie, als ob sie gar nicht zu ihrem Körper gehörten; sie drehte die Finger und beugte sie. »Wie schrecklich ist es, daß dieses Altern einst das Schicksal der ganzen Menschheit war, dieser langsame körperliche und geistige Verfall. Vor allem der physische… Mein Körper scheint das Bewußtsein zu verdrängen; manchmal habe ich für nichts anderes Zeit, als mich seinen drückenden, würdelosen Bedürfnissen zu widmen…« Sie runzelte die Stirn. »Aber vielleicht hat die AS-Behandlung unserer Rasse mehr genommen, als sie uns gegeben hat. Schließlich lehnen selbst die Leute, die am eitelsten sind oder im Rampenlicht stehen wollen, eine AS-Therapie ab, wenn sie real über sechzig sind. Also wird eine fruchtbare Interaktion auf eine physische Spannweite von gerade sechs Jahrzehnten begrenzt. Wie traurig.«
    Er atmete tief durch. »Aber Sie müssen doch schon effektiv achtzig sein?«
    Sie verzog den Mund. »Das ist keine schlechte Schätzung für jemanden, der noch nie einen alten Menschen gesehen hat… sofern Sie noch keinem dieser unglücklichen Individuen begegnet sind, bei denen die AS-Behandlung nicht angeschlagen hat. Bei genauer Betrachtung sind das lediglich Menschen im Originalzustand, aber unsere Gesellschaft behandelt sie wie Kranke – die man fürchten und ausgrenzen muß.«
    »Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?« fragte er einfühlsam.
    »Eine mißlungene AS-Therapie?« Ihre pergamentartigen Wangen zitterten leicht, und erneut spürte er Ressentiments, einen tiefen Zorn, dicht unter ihrer verwelkten, unansehnlichen Oberfläche. »Nein. Nicht unbedingt.«
    Er berührte ihren Arm. »Schauen Sie dort… vor uns.«
    Eine Struktur wuchs vor ihnen auf, die der Photosphäre entstieg und sich dräuend vor den unendlich flachen Horizont schob. Es war ein Viadukt – eine Reihe von Bögen, Schleifen aus rotglühendem Gas, die über die Oberfläche der Sonne wanderten.
    Erneut vernahm er ihr Keuchen.
    Er konsultierte sein Notebook. »Protuberanzen. Die ganze Struktur ist hundertsechzigtausend Kilometer lang und dreißigtausend hoch…« Er schaute auf und überprüfte den Kurs. »Wir befinden uns gerade sechzehntausend Kilometer über der Oberfläche. Wir fliegen gleich durch einen dieser Bögen hindurch.«
    Voller Entzücken klatschte sie in die Hände, und plötzlich wirkte sie verblüffend und unglaublich jung – ein Kind, das in einem absterbenden Körper gefangen war, dachte er.
    Bald stand der Bogen, den sie durchfliegen würden, groß vor ihnen, und die Öffnungen der anderen begannen sich zu schließen und perspektivisch zu verkürzen. In dieser gigantischen Landschaft hatte Scholes Schwierigkeiten, die Dimensionen der Strukturen zu bestimmen; ihre Annäherung schien eine Ewigkeit zu dauern, und dennoch wurden sie immer größer, stachen aus der Sonne wie die Träume eines irren Konstrukteurs. Jetzt konnte er bereits Details ausmachen – an einigen Stellen war der Bogen unterbrochen, und er konnte Knoten höherer Dichte im Gas der Corona erkennen, die glühend an den magnetisch fixierten Flanken dem Lichtbecken an der Basis des Bogens entgegenstrebten. Aber ungeachtet all dieser Eindrücke blieb die

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