Xeelee 4: Flux
aneinander. Ich habe ihnen die Zukunft gestohlen, sagte Dura sich. Ihr Leben hat keinen Sinn mehr.
Vielleicht habe ich ihnen aber auch die Zukunft bewahrt.
Als die Menschlichen Wesen außer Sicht waren, schlüpfte Dura trotz des Weinens der verängstigten, desorientierten Kinder in einen der hochwertigen Kokons des Wagens; erneut manifestierte der Widerstreit zwischen Erleichterung und Schuld sich in ihrer Seele.
Mit schlafwandlerischer Sicherheit dirigierte Deni den Wagen an den wiederhergestellten Feldlinien entlang. »Die Stadt nimmt Verwundete aus dem Hinterland auf. Es ist nicht leicht, für keinen von uns.« Dura stellte fest, daß die Ärztin kaum noch Ähnlichkeit mit der fröhlichen, fürsorglichen Frau aufwies, die Adda behandelt hatte. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen; das Gesicht wirkte eingefallen und angespannt, und sie saß vornübergebeugt auf dem Sitz, wobei sie die Zügel verkrampft in den Händen hielt.
Bedrückt blickte Dura durch die Panoramascheiben des Wagens auf die über ihnen vorbeiziehende Kruste. Sie erinnerte sich an die Ordnung, die im weiten Hinterland mit seinen Decken-Farmen und Gärten geherrscht hatte, als sie damals bei Toba Mixxax mitgefahren war. Nun bot sich ihr ein Bild der Verwüstung. Der Störfall hatte breite Schneisen in die Kruste geschlagen und die nackte Wurzel-Decke freigelegt. Vereinzelt mühten sich noch Kulis auf dem verwüsteten Land ab, doch die Decke war bei weitem nicht so widerstandsfähig wie der Wald; dort, wo zuvor die Felder sich befunden hatten, klafften nun Löcher, die an offene Wunden erinnerten.
Deni versuchte Dura zu erklären, daß die Kruste durch den Störfall in Schwingungen versetzt worden war – anscheinend hatte der ganze Stern abschnittsweise vibriert, und der Störfall hatte sich in mehreren Wellen ausgebreitet, mit einer tödlichen Ästhetik. Dura vernahm die Worte zwar, ohne jedoch den Sinn zu erfassen.
»Das gesamte Hinterland ist von der Katastrophe betroffen«, sagte Deni. »Mindestens die Hälfte der Decken-Farmen arbeitet nicht mehr, und der Rest nur noch eingeschränkt.« Sie sah Dura an. »Parz City hat nur geringe Lebensmittelvorräte; die Stadt ist auf tägliche Lieferungen von den Farmen angewiesen. Und Sie kennen ja den Spruch…«
»Welchen?«
»Jede Gesellschaft ist nur eine Mahlzeit von der Revolution entfernt. Hork hat bereits eine Rationierung verfügt. Ich bezweifle aber, daß das langfristig genügen wird. Zur Zeit arrangieren die Leute sich noch mit den Verhältnissen: sie nehmen in den Arztpraxen lange Wartezeiten in Kauf, weil vor ihnen Scharen von Kulis behandelt werden und befolgen im übrigen die Anweisungen des Komitees. Es wird aber nicht ausbleiben, daß sie irgendwann dem Komitee die Schuld an ihrer mißlichen Lage geben.«
Dura holte tief Luft. »Genauso, wie Sie mir die Schuld geben?« fragte sie dann.
Mit großen Augen drehte Deni sich zu ihr um. »Weshalb sagen Sie das?«
»Ihr Tonfall hat Sie verraten. Das ganze Verhalten, das Sie seit Ihrer Ankunft mir gegenüber an den Tag gelegt haben.«
Deni rieb sich die Nase, und als sie Dura wieder anschaute, spielte ein Lächeln um ihre Lippen. »Nein. Ich gebe Ihnen nicht die Schuld, meine Liebe. Ich mag es nur nicht, mich als Kutscher einspannen zu lassen. Ich habe Patienten zu versorgen… In solchen Zeiten habe ich Besseres zu tun, als…«
»Weshalb haben Sie mich dann überhaupt abgeholt?«
»Weil Muub es mir befohlen hat.«
»Muub? Ach so, der Chefarzt.«
»Er glaubte, ich sei die einzige Person, die Sie identifizieren könne.« Sie schniefte. »Der alte Narr. So viele Oberströmler gibt es nun auch wieder nicht auf Qos Frenks Decken-Farm.«
»Ich verstehe immer noch nicht, weshalb Sie hier sind.«
»Weil Ihr Freund darauf bestanden hat«, erwiderte sie stirnrunzelnd. »Wie war gleich noch sein Name? Adda? Eine richtige Nervensäge. Aber seine pneumatischen Gefäße haben wir wieder schön hinbekommen.«
Die Luft schien sich in Duras Mund zu verdicken. »Adda lebt? Er ist in Sicherheit?«
»O ja. Er war bei Muub, als der Störfall eintrat. Es geht ihm recht gut… zumindest genauso gut wie vorher. Wissen Sie, bei solchen Verletzungen ist es ein Wunder, daß er sich überhaupt noch bewegen kann. Und…«
Dura schloß die Augen. Die ganze Zeit hatte sie es nicht gewagt, sich nach ihren Stammesgenossen zu erkundigen – als ob sie allein schon mit der Frage ihr Schicksal besiegelt hätte. »Und Farr?«
»Wer? Ach, der Junge. Er ist
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