Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
halten, beanspruchen den ganzen Süden für sich. Gute Leute sind gestorben. Und du – du hilfst nicht mal den alten Leuten bei der Arbeit. Was tust du hier überhaupt?«
Allel hob die blakende Lampe auf. »Ich bezweifle, dass du das verstehen würdest«, sagte sie hochnäsig.
Boyd schlug ihr die Funzel aus der Hand. Sie zerbrach an einem Stein, und der auslaufende Alkohol verpuffte und erzeugte eine Stichflamme. »Du vergeudest deine Zeit mit solchem Unfug. Untersteh dich, so mit mir zu reden!«
Allel beherrschte sich. »Ich fülle den Beutel mit Rauch. Er fliegt. Wenn ich einen anfertigen würde, der groß genug ist, könnte ich damit fliegen…«
»Was soll der Quatsch?!« Boyd räusperte sich und spie einen blutigen Schleimbatzen auf den Boden. Er zischte im Alkohol-Feuer. »Wenn’s nach dir ginge, würden wir alle wegen so ’nem Mist draufgehen.« Sie packte Allel am Schlafittchen. Ihr Atem roch säuerlich. »Eher bring ich dich um. Das ist mein Ernst.« Sie ging den geröllübersäten Hügel hinunter. »Komm mit! Du bist fast schon erwachsen. Es ist an der Zeit, dass ich deine Fragen beantworte.«
Allel rührte sich nicht vom Fleck. »Wohin gehen wir?«
»Nach Norden. An den Ort, wo unsre Leute lebten, bevor die Kälte sie vertrieben hat. Nördlich der Stadt.«
»Wieso soll ich mitkommen?«
»Weil ich dir sonst den dreckigen Hals breche«, sagte Boyd in aller Gemütsruhe und ohne sich umzudrehen.
Sehnsüchtig schaute Allel zum heimatlichen Dorf zurück, wo die Feuer der vergangenen Nacht noch brannten. Dann raffte sie das zerknitterte Hemd, damit der Wind es nicht bauschte, und folgte ihrer Mutter.
Die Brise hob den Ballon an. Sein letzter Flug endete in den Scherben der Lampe, wo er in Brand geriet.
* * *
Die Sonne spann ihr spiralförmiges Netz um die Welt.
Als die Nacht hereinbrach, suchten Boyd und Allel unter einem wilden Kuh-Baum Zuflucht. Schweigend sogen sie Milch aus seinen Zitzen und rösteten Scheiben von Fruchtfleisch über einem kleinen Feuer. Boyd schlief tief und fest unter ihrem Steppmantel. Allel indes fror im dünnen Hemd und baute sich ein Nest aus Laub. Missmutig schaute sie in die nahtlose Dunkelheit der Schale und erkannte Ansammlungen von Feuerstellen.
Am Morgen polsterte sie die Kleidung mit Laub aus und fertigte eine Kappe aus Kuh-Baum-Rinde.
Nachdem sie ein paar Tage unterwegs waren, hielt der Frost sich immer hartnäckiger, bis sie schließlich auf dünnem Eis gingen. Es schneite leicht. Sie kamen an ein paar verlassenen Siedlungen vorbei. Die sonst so robusten Kuh-Bäume wuchsen hier immer spärlicher.
Ein Schneesturm brach über sie herein. Sie schafften es bis zum ausgetrockneten Stamm eines toten Kuh-Baums. Allel starrte auf die verschrumpelten Zitzen und Früchte. Boyd lachte sie aus. Ihre Augenlider waren mit Schneeflocken bestäubt. »Das ist ein Schock für dich, wie? Ein toter Kuh-Baum. Man gab uns eine Welt mit schönen Gebäuden und Kuh-Bäumen, die uns nähren und kleiden wie Mütter. Ein sicherer Hort vor den Xeelee.
Doch die Welt ist alt und zerfällt. Die Sonne wird bald erlöschen. Eis überzieht die Städte, und die Milch in den Kuh-Bäumen friert ein. Wir versinken im Schnee.« Sie wühlte in der Schneeverwehung nach trockenem Holz. »Komm her. Wir warten, bis der Blizzard sich ausgetobt hat. Der Schnee wird dich wärmen.«
Das wäre vielleicht ein ödes Leben, wenn der Sommer ewig währte, sagte Allel sich, während sie ein Loch grub. Was sollte sie den ganzen Tag über tun? Die ungeschützten Finger wurden taub.
Nachdem der Sturm abgeflaut war, setzten sie die Reise fort. Die Schale hing wie eine Landkarte über ihnen, so dass sie sich nicht verlaufen konnten. Schließlich kamen sie an die Kante einer großen natürlichen Schüssel. Schneeverwehungen flankierten die flachen Gebäude der Stadt, die wie zwei Halbmonde angeordnet waren.
Allel, die nur die primitiven Tipis aus der Rinde des Kuh-Baums kannte, berührte Wände so glatt wie Haut. Doch im Innern war es kalt und unordentlich, und in den Straßen lag hüfthoch der Schnee.
Sie stapften durch den Schnee und arbeiteten sich mühsam zum gemeinsamen Mittelpunkt der beiden Halbmonde der Stadt vor. Dort stand ein kleines zylindrisches Gebäude, das nicht mehr als drei Schritt durchmaß. Allel half ihrer Mutter, den Schnee von der Tür zu kratzen. Boyd hauchte sich in die Hände, um die steifen Finger zu wärmen. »Du gehst vor«, sagte sie listig. Allel stieß die Tür auf…
…und starrte
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