Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
das ist das ›Schiff‹?«
Erwal versuchte zu sprechen, doch ihre Kehle war ausgetrocknet.
Sie zwang sich, nach unten zu schauen.
Die Leiche war kaum mehr als ein in Lumpen gehülltes Knochengerippe. Eine klauenartige Hand hielt ein aufwendig gearbeitetes Messer umklammert. Erwal bückte sich und nahm das Messer an sich, worauf die skelettierten Finger in Stücke zerbrachen und auf den warmen Boden rieselten. »Das war Allels Messer«, sagte sie zu Arke. »Teals Großmutter. Teal hat dieses Messer in Ehren gehalten.«
Arke berührte sie am Ellbogen. »Es ist ein Wunder, dass er es überhaupt so weit geschafft hat, weißt du. Und als er zum zweiten Mal hierher kam, hatte er nicht einmal eine Mummy-Kuh dabei.«
»Er ist einsam gestorben. Und so nah am Ziel.«
»Aber er ist nicht umsonst gestorben. Er hat uns hierher geführt.«
Zitternd ging Erwal zur Wand, hinter der das Schiff sich befand. »Nun müssen wir nur noch einen Weg finden, auf dem wir hier rauskommen.«
Die anderen schauten sie nur an. Ihre Gesichter waren ehrfürchtig und blass.
* * *
Es entspricht nicht den Tatsachen, dass Paul nach dem Intermezzo des ersten Menschen neben der Achten Kammer gewartet hätte. Vielmehr stellte er eine SubKomponente seiner Personalität ab, um die weiteren Ereignisse in der Kammer zu verfolgen, während er den Rest seiner Multiplex-Aufmerksamkeit woandershin richtete. Es ist auch nicht wahr, dass Pauls Geduld durch die Verzögerung auf die Probe gestellt worden wäre. Schließlich war er weitgehend unabhängig von den Zwängen von Zeit und Raum und widmete sich dem Studium der Galaxien.
Und doch…
Und doch hatte Paul das Gefühl, für eine sehr, sehr lange Zeit gewartet zu haben, als die nächsten Menschen in der Achten Kammer auftauchten. Paul war fasziniert von den eckigen Bewegungen und der offensichtlich beschränkten Perspektive. Dass das Bewusstsein in einem Hautsack auf zwei Knochenstangen eingesperrt war, musste ein unglaubliches Handicap darstellen!
Doch im Lauf von Pauls Betrachtungen kamen plastische Erinnerungen an seinen körperlichen Abstecher auf den Zuckerwürfel in ihm hoch. Der Gottähnliche war sich seiner Gefühle plötzlich nicht mehr sicher, während er Männer, Frauen und Kinder beobachtete, wie sie sich unterhielten, sich berührten und lachten.
Er sah die zerlumpte, schmutzige Kleidung, die ausgemergelten Körper, die von der Kälte zerfressene Haut. Er sann über die Bedeutung dieser Dinge nach.
Schließlich betrat eine grauhaarige Frau die Kammer. Ihr Verhalten wirkte irgendwie anders; sie ging langsam zur Kristallwand und schaute zu den Sternen empor.
Paul fokussierte die Aufmerksamkeit, so dass er ihr direkt in die Augen zu schauen schien.
Das Gesicht hatte feine Züge, die Haut spannte sich über die Knochen, und das Alter hatte Falten um Augen und Mund hinterlassen. Die Haut war narbig, die Lippen rissig und blutig. Es war ein müdes Gesicht.
Doch den Kopf trug die Frau erhoben, und ihr Blick war auf ein Universum gerichtet, das ihr nichts als Rätsel aufgeben musste.
Hinter diesen Augen lag wie eine noch nicht aufgegangene Saat ein Quantenkorn aus Bewusstsein, das in Millionen von Jahren geformt worden war.
Die Frau verließ die Kammer; Paul nahm das mit einem Gefühl der Ergriffenheit zur Kenntnis.
Während der nächsten Tage erforschten die Menschen die Kristallkiste. Sie berührten die Wände und schauten mit blanker Verständnislosigkeit hindurch. Sie waren sich des Raumschiffs sehr wohl bewusst, das hinter der Wand der Kammer wartete: sie deuteten darauf und knieten sich hin, um die Unterseite zu betrachten, und gelegentlich tastete auch einer die Wand ab. Jedoch lag ihrer Suche kein Muster zugrunde, kein System, und sie benutzten kein Werkzeug außer Fingern und Zungen. Aber das schien sie nicht zu bekümmern. Sie waren wie Kinder in einer Erwachsenenwelt; sie erwarteten einfach nicht, dass sie imstande sein könnten, etwas zu bewirken.
Plötzlich kam im hell erleuchteten Eingangsbereich Unruhe auf. Die Menschen führten eine Art Tier in die Kammer: Zuerst erschien ein tonnenförmiger Schädel, dann ein massiger Leib, der von zottigem Fell bedeckt war. Die Menschen knufften das Tier in die Flanke und zogen am Haar über den flackernden Augen. Die offenbar panische Kreatur ließ sich kaum dazu bewegen, weiterzugehen. Dann stand sie in der Mitte der Kammer, umringt von schwitzenden und triumphierenden Menschen. Das Tier schaute nach links, rechts und dann nach unten
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