Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
unten verschwenden.«
Dixon nahm noch einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann und musterte sie.
»Hier gibt es Leben, Irina«, eröffnete er ihr. »Leben, in diesem gefrorenen Ozean. Wenn Sie ausgetrunken haben, werde ich es Ihnen zeigen.«
Die Probe befand sich in einem Behälter auf der Oberfläche, neben einer Rechnerkonsole.
Das Ding in dem Behälter sah aus wie ein Streifen bunten Fleisches: Vielleicht neunzig Zentimeter lang, zerquetscht und offensichtlich tot; Fragmente eines transparenten Hüllmaterials waren im Fleisch eingebettet, auf dem Eiskristalle glitzerten.
»Wir haben es in einem zwei Kilometer tiefen Bohrkern gefunden«, erläuterte Dixon.
Larionova versuchte sich vorzustellen, wie dieses Wesen wohl ausgesehen hatte, als es noch intakt und lebendig war. »Das sagt mir gar nichts, Frank. Ich bin keine Biologin.«
Er räusperte sich verlegen. »Mir auch nicht. Überhaupt niemandem von uns. Wer hätte auch erwartet, Leben auf Merkur zu finden?« Mit behandschuhten Fingern bearbeitete Dixon den Rechner. »Unsere medizinisch-diagnostischen Computerprogramme haben diese Rekonstruktion erstellt«, sagte er. »Wir bezeichnen es als Merkurier, Irina.«
Eine Virtuellprojektion materialisierte etwa dreißig Zentimeter über dem Rechner; die Abbildung rotierte, schlank und drohend.
Der Körper war ein dünner Konus, der sich von einer Schwanzspitze zu einem breiten, flachen Kopf verbreiterte. Drei parabolische, tassenförmige Aufsätze – Augen? – waren in dem glatten Gesicht eingebettet und symmetrisch um einen lippenlosen Mund angeordnet… Nein, keine Augen, korrigierte Larionova sich. Vielleicht eine Art Sonargerät? Das würde auch das Parabol-Profil erklären.
Mandibeln drangen wie Pinzetten aus dem Mund.
Am Schwanz waren drei Flossen um etwas gruppiert, das wie ein Anus aussah. Ein transparenter Panzer umhüllte den Rumpf wie ein zylindrischer Mantel; innerhalb des Panzers war der Körper mit Reihen feiner, haarartiger Wimpern bewachsen, biegsam und schwingungsfähig.
Die Oberfläche des Panzers wies kaum sichtbare regelmäßige Markierungen auf.
»Ist das authentisch?«
»Wer weiß? Besser bekommen wir es jedenfalls nicht hin. Wenn wir die Freigabe haben, können wir die Daten zur Erde schicken, damit die Experten sich mit dem Ding befassen.«
»Teufel, Frank«, sagte Larionova. »Es sieht wie ein Fisch aus. Es scheint schwimmen zu können. Die Stromlinienform, der Schwanz…«
Dixon kratzte sich die Haarstoppel am Nacken und schwieg.
»Aber wir sind hier auf dem Merkur, verdammt, und nicht auf Hawaii«, stellte Larionova fest.
Dixon zeigte nach unten, auf eine Region unterhalb des staubigen Bodens. »Irina. Hier ist nicht alles gefroren. Es gibt Höhlen dort unten, in der Eisdecke von Chao. Nach Auskunft unserer Sonar-Sonden…«
»Höhlen?«
»Wasser. An der Basis des Kraters, unter einer mehrere Kilometer dicken Eisschicht. In flüssigem Zustand gehalten durch heiße Quellen in Steilwänden und Graten, die durch tektonische Verwerfungen entstanden sind. Ein gigantisches Schwimmbad… Wir vermuten, dass unser Freund hier ein Rückenschwimmer ist…« – er berührte die Tastatur, und die Abbildung drehte sich – »…und dass das Wasser zwischen seinem Körper und diesem Panzer hindurchströmt, wobei er diese winzigen Härchen einsetzt, um Nahrungspartikel herauszufiltern. Der Rumpf ist anscheinend mit kleinen Mündern bestanden. Sehen Sie?« Er wählte einen anderen Darstellungsmodus; die Haut wurde transparent, und Larionova konnte skizzenartige Rekonstruktionen innerer Organe sehen. »Es gibt keinen eigentlichen Magen«, referierte Dixon, »dafür aber etwas, das wie ein durchgehender Verdauungstrakt aussieht, der sich durch den ganzen Körper zieht bis zum Anus am Schwanz.«
Larionova registrierte eine fadenähnliche Struktur, die sich um einige Organe und den axialen Verdauungstrakt wickelte.
»Sehen Sie«, sagte Dixon. »Betrachten Sie einmal die Oberflächenstruktur dieser Röhren, hier dicht beim Verdauungstrakt.«
Larionova folgte seiner Aufforderung. Die sich um die Verdauungsachse schlängelnden Röhren hatten eine komplexe, geriffelte Oberfläche. »Und nun?«
»Es fällt Ihnen nicht auf, stimmt’s? Das sind Windungen – wie bei einem Gehirn. Irina, wir glauben, dass es sich bei diesem Zeug um ein Äquivalent von Nervengewebe handelt.«
Larionova runzelte die Stirn. Verdammt, ich wünschte, ich hätte bessere Biologiekenntnisse. »Was ist mit diesem
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