Xenozid
Nicht, daß Ender keinen Grund zur Besorgnis gehabt hätte. Er hatte ihr erklärt, welche Probleme die Xenobiologen mit der Descolada hatten, welche Spannungen es zwischen Grego und Quara gab, und natürlich war da immer die Flotte des Kongresses, der Tod, der über ihnen im Himmel schwebte. Doch Ender hatte sich oft mit Problemen und Spannungen auseinandersetzen müssen, viele Male in seinen Jahren als Sprecher für die Toten. Er hatte sich in die Probleme von Nationen und Familien gestürzt, von Gemeinden und einzelnen Menschen, hatte darum gekämpft, sie zu verstehen und die Krankheiten des Herzens dann zu heilen und zu läutern. Nie hatte er sich so benommen, wie er sich jetzt benahm.
Oder vielleicht doch, einmal.
Als sie Kinder waren und Ender darauf vorbereitet wurde, die Flotten zu kommandieren, die gegen alle Krabbler-Welten ausgeschickt wurden, hatten sie Ender für eine gewisse Zeit zur Erde zurückgebracht – die Ruhe vor dem Sturm, wie sich herausstellen sollte. Ender und Valentine waren seit seinem fünften Lebensjahr voneinander getrennt, und es durfte nicht einmal ein unzensierter Briefwechsel zwischen ihnen stattfinden. Dann änderten sie ihre Politik plötzlich und brachten Valentine zu ihm. Er wurde auf einem großen Privatsitz in der Nähe ihrer Heimatstadt gefangengehalten und verbrachte seine Tage damit, zu schwimmen und sich völlig untätig auf einem kleinen See treiben zu lassen.
Zuerst hatte Valentine gedacht, es sei alles in Ordnung, und sie war lediglich froh, ihn endlich wiederzusehen. Doch bald begriff sie, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. Doch in jenen Tagen hatte sie Ender nicht so gut gekannt – sie war schließlich über sein halbes Leben lang von ihm getrennt gewesen. Doch sie wußte, daß es ihm gar nicht ähnlich sah, so bedrückt zu wirken. Nein, das war es eigentlich gar nicht. Er war nicht bedrückt, er war untätig. Er hatte sich von der Welt gelöst. Und ihre Aufgabe war es, ihn wieder mit ihr zu verbinden. Ihn zurückzuholen und ihm seinen Platz im Netzwerk der Menschheit zu zeigen.
Weil sie Erfolg hatte, konnte er schließlich wieder ins All gehen und die Flotten kommandieren, die die Krabbler völlig vernichteten. Seit dieser Zeit schien seine Verbindung mit der Menschheit ungefährdet.
Doch nun war sie wieder fast ein halbes Leben von ihm getrennt gewesen. Fünfundzwanzig Jahre für sie, dreißig für ihn. Und wieder wirkte er losgelöst. Sie musterte ihn, während er sie und Miro und Plikt mit dem Wagen ausführte, hinweg über die endlosen Capimebenen.
»Wir sind wie ein kleines Boot auf dem Ozean«, sagte Ender.
»Eigentlich nicht«, sagte sie und erinnerte sich an die Zeit, da Jakt sie auf einem der kleinen Boote mitgenommen hatte, mit denen die Netze ausgelegt wurden. Die drei Meter hohen Wellen hatten sie hochgehoben und dann wieder in den Graben stürzen lassen – auf dem großen Fischerboot hatten diese Wellen sie kaum geschaukelt, während sie bequem auf dem Meer lagen, doch in dem winzigen Beiboot waren sie überwältigend. Buchstäblich atemberaubend – sie hatte von ihrem Sitz auf Deck hinabgleiten und sich mit beiden Armen an der Bretterbank festhalten müssen, bevor sie wieder zu Atem kam. Es gab keinen Vergleich zwischen dem schweren, rollenden Ozean und dieser üppigen Grasebene.
Andererseits… für Ender vielleicht doch. Wenn er die Capimebene sah, sah er in ihr vielleicht den Descolada-Virus, der sich unentwegt anpaßte, um die Menschheit und alle anderen Spezies ihrer Welt zu vernichten. Vielleicht rollte und wogte diese Ebene für ihn genauso brutal wie der Ozean.
Die Seemänner hatten sie ausgelacht, nicht spöttisch, sondern zärtlich, wie Eltern, die über die Ängste eines Kindes lachen. »Dieser Seegang ist noch gar nichts«, sagten sie. »Sie müßten das mal in zwölf Meter hohen Wellen machen.«
Ender war nach außen hin so ruhig wie damals die Seemänner. Ruhig, losgelöst. Er unterhielt sich mit ihr und Miro und der stillen Plikt, hielt aber noch immer etwas zurück. Stimmt etwas nicht zwischen Ender und Novinha? Valentine hatte sie nicht lange genug zusammen gesehen, um zu wissen, was natürlich zwischen ihnen war – auch wenn es keine offensichtlichen Streitigkeiten gab. Also war Enders Problem vielleicht eine wachsende Barriere zwischen ihm und der Gemeinde von Lusitania. Das war eine Möglichkeit. Valentine erinnerte sich genau, wie schwer es für sie gewesen war, von den Trondheimern akzeptiert zu werden, und sie war
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