Xperten 1.2 - Der Mindcaller
fälschlich nennst, gefunden haben wirst .
»Schläfst du?« Mit dieser Frage bringt Mike Aroha wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie schüttelt den Kopf. Sie hört das Rauschen des Wassers, sie wundert sich über das Gesehene und gerade Gehörte und über das Gefühl der vollkommenen Zufriedenheit und Ruhe, mit dem sie hier sitzt, wer weiß wie viele Meter unter der Erde, wahrscheinlich nur mit der Alternative den beschwerlichen Weg zurück zu gehen. Und doch: Irgendwas, das aus dem Kapakapa strömt, bewirkt, dass sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihren Freunden empfindet und merkt, dass sich dieses auf Mike und Jeannie überträgt ... und vielleicht auch auf Kevin und Ian, die noch immer einen Weg nach unten suchen.
Sie ergreift fast dankbar das Kapakapa und drückt es fest, und auch dieses Mal, wie immer, wenn sie es tut (oder ist es nur wenn sie die weißen Punkte auf der Schnitzerei berührt?), wird das Kapakapa besonders aktiv. Die Höhle wird zu einem lebendigen Museum der alten Geschichte. Sie merkt nicht mehr die Freunde neben sich. Die Felsformationen auf der gegenüberliegenden Seite der Höhle springen auf sie zu, der Spalt wird zum riesigen zahnbesetzten Maul des Taniwha, jenes mythischen Ungeheuers. Die Eisenoxyd- Ablagerungen verwandeln sich zu Blut. Sie spürt die Urgewalt des Tanemahuta, des Gottes des Waldes und des Lichtes, wie er Rangi, den Vater Himmel, von Papa, der Mutter Erde wegschleudert und damit Licht auf die Erde bringt in den Tagen ihrer Erschaffung. Sie spürt die für immer verbleibenden Spannungen, die dadurch zwischen Vater Himmel und Mutter Erde entstehen. Dann spürt sie plötzlich, wie ihre Vorfahren um sie herumstehen, um sie, die kleine, nicht weiße, nicht dunkle, sondern ockerfarbene Frau. Und dann ‚sieht‘ sie mit Schaudern:
Hineuitepo, die ‚Frau der Nacht‘, die Todesgöttin der Maori, die Hüterin derer, die die Welt der Lebenden verlassen haben und wie sie mit einem traurigen Blick Aroha ansieht und in der Ferne verschwindet .
Erschüttert lässt Aroha das Kapakapa ruckartig aus.
Jeannie merkt dies und erkundigt sich besorgt: »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Nein, Jeannie, danke, dass du fragst, ich hatte nur einen unangenehmen Tagtraum.«
Natürlich weiß Aroha, dass es mehr war und sie ist erschüttert. Über die seltsame Prognose, dass dieser Ort einmal eine große Bedeutung für sie haben könnte, aber noch mehr über das Bild der Todesgöttin. Zu sehr war sie als Kind in einem Marae aufgewachsen, um nicht zu wissen, dass man das Erscheinen der ‚Frau der Nacht‘ immer mit dem bevorstehenden Tod eines geliebten Menschen in Zusammenhang bringt.
Um so größer ist ihre Erleichterung, als sie sieht, dass Kevin und Ian unversehrt zurück kommen. Sie hat das Bedürfnis, auf Kevin zu zulaufen, ihn zu umarmen und zu küssen, Schmutz oder nicht Schmutz. Nur der Lack der zivilisierten Verbildung hält sie zurück, ihre Gefühle zu zeigen.
Ian und Kevin kommen mit guten Nachrichten. Sie haben einen Ausgang nach unten gefunden, keinen bequemen, aber besser als zurück zu gehen! Sie verlassen das Bachbett, steigen in einen steil ansteigenden, dann flachen aber engen Gang. An einigen Stellen müssen sie den Rucksack vor sich schieben, sich seitlich drehen, den Kopf auf den Boden drücken, einen Boden, der aus rotem und gelben klebrigem Lehm besteht, der die Haare verfilzt, die Bekleidung unkenntlich und kein Stück Haut mehr als solches erkennbar sein lässt. Nach langer Kriecherei, und als sie wieder auf den Bach stoßen, lacht Ian.
»Ich hoffe, euch macht das Erkunden von Höhlen auch so viel Spaß wie mir«. Die anderen sind nicht so sicher, auch als sie seinem Beispiel folgen, ihre Rucksäcke fallen lassen und sich in den Bach stürzen, um sich vom Ärgsten zu reinigen.
Aber als sie weitergehen, der Bach sich in einer großen Grotte zu einem unterirdischen See weitet und sie über sich Myriaden von weißen Punkten sehen, wird ihnen wieder klar, was Ian meint. Höhlen bieten ein solches »Kontrastprogramm« von Schönheiten, von Unannehmlichkeiten, von kleineren oder größeren Gefahren oder Überraschungen, dass man einfach mehr lebt, als im Einheitsbrei eines normalen Lebens. Die weißen Punkte an der Decke, ja an allen Wänden, sind neuseeländische Glühwürmchen. Sie sind hier überall, auf den großen Flächen, in den kleinen Spalten, strömen ein ruhiges, schattenloses Leuchten aus. Dieses Leuchten begleitet sie minutenlang zusammen mit
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