Xperten 1.2 - Der Mindcaller
Waldes und des Lichtes, wie er Vater Himmel von Mutter Erde wegriss und ihn in den Himmel schleuderte, ich sah die Tränen in den Augen Urus, des verloren Sohns der so getrennten Götter, wie er um seine Eltern weinte. Und ich kann den Ausdruck in den Augen des Fisches nicht vergessen - du weißt schon, der Fisch Neuseeland - wie Maui 20 ihn aus dem Meer zog. Aber am meisten erschreckte mich, dass ich die Todesgöttin, die ‚Frau der Nacht‘, so deutlich sah: Man sagt ja immer, dass das nichts Gutes bedeutet.«
»Und die Todesgöttin hat dich so erschreckt ?«
»Ja«, meint Aroha, »aber es ging nicht um mich, sie bedrohte nicht mich, sie sah mich eher mild, traurig, mitleidig an, als sei ein mir nahe stehender Mensch in Gefahr. Fast habe ich das Gefühl, ich sollte das Ganze als Warnung auffassen, nur weiß ich nicht, auf wen sich das alles bezog. Vielleicht wurde mir das alles auch nur gezeigt, um mir klar zu machen, dass ich in den letzten zwölf Jahren den Teil in mir, der Maori ist, der Maorikultur ist, zu sehr vernachlässigt habe, dass ich meine kulturelle Identität zur Hälfte ausgesperrt habe. Vielleicht erklärt das auch, warum ich mir als Teenager manchmal erschütternd einsam vorgekommen bin, wie es wohl auch meiner Maori Mutter gegangen sein mag, als sie einen Engländer heiratete und dann Lehrerin in einer ganz und gar europäischen Umgebung wurde. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum zu Hause nie Maori gesprochen wurde, mir meine Mutter, im Gegensatz zu meiner Großmutter, die ich aber ab einem Alter von fünf Jahren nie mehr gesehen habe, auch nie viel über Geschichte und Mythen der Maori erzählte.«
Aroha ist sich bewusst, dass sie selten ihr Herz so ausgeschüttet hat wie jetzt vor Jeannie. Aber diese hat ruhig und aufmerksam zugehört.
»Wie ist das noch einmal? Du hast fünf Jahre ganz im Marae deiner Großmutter gelebt, wurdest dann von deinen Eltern abgeholt, und hast weder deine Großmutter, von der du mir so liebevoll erzählt hast, noch deine anderen Verwandten dort je wieder gesehen?«
»So ist es«, sagt Aroha.
»Aroha, ist dir denn nie bewusst geworden, dass das sehr ungewöhnlich ist? Dass deine Eltern offenbar jeden Kontakt mit der Großmutter und der Maorikultur und was sie für dich bedeuten, verhindern wollten? Dein Vater ist gestorben, hast du mir einmal erzählt. Glaubst du nicht, dass du deine Großmutter und deine Verwandten besuchen solltest?«, sagt Jeannie verwundert.
Aroha schaut Jeannie lange an. »Du bist eine gute Freundin und hast wahrscheinlich recht.«
So trennen sich die Freunde an diesem Tag: Sie haben das Rätsel des Kapakapa nicht gelöst, sie wissen auch nicht, dass eine solche Lösung erst später, viel später gelingen wird, aber doch gehen sie auseinander in einer fast unerklärbar freudigen Stimmung.
Bei der ersten Möglichkeit fährt Aroha mit Kalina wieder zum verborgenen Tal und zur ‚Kathedrale‘. Aber trotz des Kapakapa fühlt Aroha diesmal nichts Besonderes, und zu ihrer Überraschung finden sie auch nicht den Weg zur Höhle.
»Du bist einfach eine unheilbare Romantikerin«, meint Kalina, »und dichtest dir eine Welt zusammen aus Mythen und Legenden und Vorfällen, die es zum Großteil nur in deinem Kopf gibt.«
Aroha reagiert traurig. Ihre Freundin, der sie soviel verdankt, was Musik, Tanz und Lebensfreude anbelangt, und die sie nach wie vor so verehrt, scheint ihr nicht zu glauben: »Du denkst ich erfinde das alles nur? Aber die anderen sind sich auch sicher, dass es hier ungewöhnliche Vorkommnisse gibt oder gegeben hat.«
»Vielleicht. Aber es gibt sicher irgendeine logische Erklärung dafür, die nichts mit den Mythen aus alten Zeiten zu tun hat«, erklärt Kalina mit Bestimmtheit.
6. Die Großmutter - die weise Kepa
Fünf Monate vergehen, in denen die Freunde versuchen alles aufzuarbeiten, was an Universitätsarbeit, an Übungsaufgaben und Prüfungen liegen geblieben ist, und trotzdem so oft wie möglich in das verborgene Tal zu fahren.
Kevin ist am hartnäckigsten. Er besucht das Tal und Aorama sogar oft alleine, untersucht buchstäblich jeden Quadratmeter, aber ohne handfestes Ergebnis. Alles scheint stabil und seine Ordnung zu haben, das verborgene Tal führt, wenn man von der ‚Kathedrale‘ direkt hinunter geht zum Karekare Strand, wie man es erwarten würde. Was aber noch immer nicht erklärt, warum sie bei ihrem ersten Ausflug ganz wo anders hingelangten. Kevin findet auch den zweiten Bach und die Höhle nicht
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