Xperten - Der Paradoppelgänger
versteckst, hatten wir zwei Möglichkeiten: meine oder die Begabung Sandras auszunutzen oder dies zu kombinieren. Das taten wir. Ich wusste, dass du lebst - Sandra war ganz glücklich, als ich sie endlich davon überzeugt hatte. Sie faselte immer von einem Flugzeugabsturz, bei dem du getötet wurdest, ich spürte aber, dass du irgendwo weit weg lebst. Es war Sandras Idee, deinen Vater in Eisenerz zu besuchen, und schon als wir in Wien landeten wusste ich: Du bist in der Nähe, in Wien warst du zu dem Zeitpunkt aber sicher nicht.«
Marcus ist fasziniert: Da war er wohl noch in Graz!
»Sandra stellte deinem Vater ein paar harmlose Fragen, ich wusste gar nicht so recht, warum, und dann war sie ganz glücklich und sagte mir: ‚Marcus ist in einem Hotel in Wien, nicht weit von der Wohnung seiner Schwester entfernt.‘ Der Rest war dann einfach, denn du warst so unvorsichtig, den Vornamen Marcus nicht zu verändern!«
»Kannst du dich erinnern, was Sandra meinen Vater fragte?«, ist Marcus neugierig. »Ja, und ich kann dir auch seine Antworten sagen und wie sie sie kommentierte. Ihr Gespür für die Gefühle von anderen ist einfach irr. Sie begann: ‚Wir suchen Marcus.‘ Dein Vater: ‚Ja wissen Sie denn nicht, dass er tot ist?‘ Sandras Kommentar zu mir: ‚Eine glatte Lüge.‘ Sandra: ‚Aber wir haben gehört, dass er in Wien Freunde oder Verwandte besucht.‘ Dein Vater: ‚Absoluter Unsinn.‘ Sandras Kommentar zu mir: ‚Er besucht Verwandte in Wien.‘ Nach weiteren zwei Fragen war sie sicher: Du bist in Wien und wohnst in der Nähe deiner Schwester. Ist doch nicht schlecht, oder? Ich habe mir aber ausgehandelt, dass ich dich zuerst treffe. Zufrieden?«
Marcus ist überwältigt und mehr als nachdenklich. Monika scheint eine echte Para-Begabung zu haben, morgen wird er Sandra treffen. Wenn es gelänge, sie beide nach Great Barrier zu bekommen, wäre die Gruppe um vieles stärker. Wenn er wüsste, dass Monika und Sandra am Frankfurter Flughafen einen netten jungen Mann in der Senator Lounge kennen gelernt haben, nämlich Barry, wäre er noch erregter. Monika und Sandra könnten ihn vermutlich finden. Allmählich würde ihre Gruppe in Neuseeland die oft ersehnte »kritische Masse« erreichen, mit der man sich irgendwann »outen« kann.
Monika und Marcus erzählen einander von den Erlebnissen in den letzten Jahren, wobei Marcus manche Aspekte nicht genauer anspricht. Noch ist er nicht sicher, ob er Monika als Para-Gefährtin gewinnen kann. Auch fühlt er sich noch immer stark zu ihr körperlich hingezogen, stellt sich vor - und verbietet sich dies selbst sofort -, wie sie jetzt wohl nackt aussieht. So verführerisch wie vor zirka sieben Jahren? Wie würde das sein, wenn sie mit ihnen auf Great Barrier Island wohnen würde? Monika hört, vielleicht eine Spur enttäuscht, dass Marcus inzwischen glücklich verheiratet ist und zwei Kinder hat, beide mit besonderen Begabungen, die Marcus nicht genau beschreibt.
Monika registriert sehr wohl, dass er ihr in puncto Para-Begabungen nicht alles sagt. Sie ist auch nicht mehr überrascht, dass er zwei Einzelzimmer in einem Gasthaus in Eisenkappel gebucht hat. Das Lokal liegt nach dem eigentlichen Ort, schon nahe bei der slowenischen Grenze, und die Aufmachung mit roten Lichtern lässt zunächst vielleicht mehr erwarten als ein Landgasthaus. Dieses scheint es aber zu sein. Nach einem einfachen Essen ziehen sich Monika und Marcus zurück. Marcus will um 5 Uhr früh, echt bergsteigerisch früh, wie er sagt, starten.
Dass der Abend so kurz ist, enttäuscht Monika etwas. Die Fahrt am nächsten Frühmorgen zur Eisenkappel-Hütte in einer erst langsam erwachenden Bergwelt gefällt ihr aber sehr gut. Der Weg zum Gipfel des Hochobirs ist einfach und wird durch die Geschichten über den seinerzeitigen Silberabbau in diesen Höhen, die Marcus erzählt, etwas wirklich Besonders. Das ist Marcus, wie sie ihn kennt. Und dass nicht nur geredet, sondern auch geflirtet wird, geht aus dem Gedicht hervor, das Marcus ins Gipfelbuch schreibt und das Monika schlagfertig kommentiert. Und das Gedicht zeigt wohl auch, dass Marcus es (langjähriger Vojeur!) wieder geschafft hat, Monika nackt zu sehen:
Hochobir
Sie schlug es vor: in unserm Rappel
Da fuhren wir nach Eisenkappel.
Am nächsten Morgen stiegen wir
Auf diesen Berg, den Hochobir.
Ich fragte sie: Gefällt es dir?
Sie sagte: »Ja.« Da dacht ich mir:
Ich habe Jause und ein Bier,
Ich hör den Pfiff vom Murmeltier,
Es ist schön
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