Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
erschöpft. Während des restlichen Nachmittags fiel ich immer wieder in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich nach kurzer Zeit wieder aufschreckte. Der maskierte Mann drang in meine Träume ein und jagte mich durch einen dichten Urwald.
Gegen Abend betrat Dax Greenblade das Zimmer und füllte die Atmosphäre mit neuer Energie.
„Du siehst entsetzlich aus“, sagte er leise zu mir. In Tulas schmalem Bett schliefen Opal und ihre Schwester tief und fest.
„Komm, Dax, du brauchst nicht so zartfühlend zu sein. Sag mir, was du wirklich denkst“, forderte ich ihn auf.
Er hielt die Hand vor den Mund, um sein Lachen zu verstecken. „Ich dachte mir, es ist besser, ich sag’s dir, wenn du ohnehin schon flachliegst, denn wenn die Gerüchte erst einmal bis zu dir durchdringen, die über dich auf dem Campus kursieren, wirst du meine Worte für ein Kompliment halten.“ Mit einer ausladenden Geste wirbelte Dax mit den Armen durch die Luft. „Du bist eine Legende geworden.“
„Eine Legende? Ich?“ Ungläubig sah ich ihn an.
„Eine furchterregende Legende“, verbesserte er sich. „Aber immerhin eine Legende.“
„Ach Unsinn. Für wie dumm hältst du mich?“
„Für dumm genug zu glauben, das Bewusstsein eines anderen Menschen ganz allein finden zu können.“ Dax wedelte mit der Hand über mein Bett. „Obwohl, wenn man bedenkt, dass es ein Versuch gewesen sein könnte, um aus der Klasse rauszukommen, war es doch nicht so dumm. Aber wenn deine Mitschüler dir demnächst aus dem Weg gehen, weißt du wenigstens, warum. Hier kommt Yelena, die übermächtige Seelenfinderin.“
Ich warf ihm mein Kissen ins Gesicht. Seine magische Energie berührte meine Haut, als das Kissen nach rechts auswich und mit einem dumpfen Geräusch gegen die Wand prallte, bevor es auf dem Fußboden landete. Ich warf einen Blick zu den Mädchen hinüber. Sie schienen immer noch zu schlafen.
„Jetzt übertreibst du aber“, sagte ich.
„Kannst du’s mir verdenken? Geschlagen mit der Gabe des Lesens und Sprechens archaischer Sprachen, zwingt Meister Bain mich, alte Geschichten zu übersetzen. Sehr trocken und sehr langweilig.“ Dax hob mein Kissen auf und schüttelte es sorgfältig auf, ehe er es mir zurückgab.
In dem Moment kam Leif mit einer großen rechteckigen Kiste ins Zimmer. Dax beugte sich zu mir hinunter und flüsterte: „Da wir gerade von langweilig sprechen …“
Ich unterdrückte ein Kichern. Dax verschwand, während Leif begann, kleine braune Fläschchen auszupacken. Das Gläserklirren weckte Tula und Opal auf. Misstrauisch beäugte Tula die Flaschen.
„Was ist das?“, fragte ich Leif.
„Geruchsfläschchen“, antwortete er. „Jedes von ihnen enthält einen besonderen Duft. Mutter und Vater haben mir bei der Herstellung geholfen. Gerüche lösen Erinnerungen aus, und das hilft mir, Verbrecher zu entlarven. Vielleicht kann ich mithilfe dieser Sammlung die Tinktur herausfinden, die Tulas Angreifer benutzt hat.“
Tulas Interesse war geweckt, und sie versuchte sich aufzusetzen. Opal schlüpfte aus dem Bett, um ihr zu helfen. Leif durchforstete seine ungefähr dreißig Fläschchen umfassende Sammlung, bis er zehn davon in einer Reihe aufgestellt hatte.
„Mit denen hier fangen wir an.“ Er entkorkte eines und hielt es mir unter die Nase. „Atme ganz normal.“
Ich rümpfte die Nase und nieste. „Nein. Das ist widerlich.“
Leif lächelte kurz, als er das Fläschchen beiseite stellte.
„Und was ist mit mir, Leif?“, fragte Tula.
Er zögerte. „Du hast schon so viel durchgemacht. Ich will dich nicht noch mehr belasten.“
„Ich möchte aber auch helfen. Das ist besser, als hier tatenlos rumzuliegen.“
„Na gut.“ Er ließ uns an weiteren drei Fläschchen schnuppern, wobei Tula und ich an jeweils unterschiedlichen Flaschen rochen. Kaum waren wir damit fertig, schlug Leif vor, Mittagspause zu machen.
„Von zu vielen Gerüchen bekommt ihr nämlich Kopfschmerzen, und nach einer Weile stellt ihr überhaupt keine Unterschiede mehr fest“, erklärte er.
Den ganzen Abend blieb Leif bei uns. Allmählich verging mir die Lust, aber als er auf dem Grund seiner Kiste angelangt war, wurde mein Interesse wieder geweckt. Ich war fast eingeschlafen, als ein scharfer Geruch mich aufschrecken ließ.
Leif hielt eine entkorkte Flasche in der Hand und sah ganz verdattert drein. Tula kauerte in ihrem Bett. Die Hände hatte sie schützend über den Kopf gelegt, als wollte sie einen Schlag abwehren.
„Das ist es!“,
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