Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
den Kerzenflammen erhellt wurde. Bain trug denselben purpurroten Umhang wie am Tag zuvor. Ohne große Erklärungen rollte er das Papier auf meinem Bett aus. Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich das Pergament betrachtete. Es war über und über mit den Symbolen bedeckt, die auf Ferdes Körper tätowiert waren.
Aufmerksam registrierte Bain meine Reaktion. „Das sind also die richtigen Symbole?“
Ich nickte. „Wo …?“
Bain nahm Dax das Buch ab. Der Junge verzog keine Miene. Es war ganz ungewöhnlich für ihn, dass er so ernst blieb.
„Dieser alte Text ist in der Sprache Efe geschrieben und handelt von Zaubersymbolen aus vergangenen Zeiten. Es heißt hier, diese Symbole seien so stark gewesen, dass sie nicht ins Buch gezeichnet werden konnten, andernfalls hätte man die Kraft beschworen. Glücklicherweise für uns sind sie hier exakt beschrieben. Und ebenso glücklicherweise konnte Dax die Efe-Sprache übersetzen.“ Er deutete auf das Papier.
„Das ist ja schon mal ein Fortschritt“, sagte ich.
Dax warf mir ein Lächeln zu. „Endlich ist meine Begabung mal zu etwas Sinnvollem zu gebrauchen.“
Bain warf Dax einen strengen Blick zu, und sein Lächeln erstarb.
„Die Reihenfolge der Symbole ist sehr wichtig“, erklärte Bain, „denn sie erzählt eine Geschichte. Wenn du uns sagen kannst, an welcher Stelle seines Körpers der Mörder sie hatte, können wir vielleicht herausfinden, was ihn zu seinen Taten veranlasst.“
Ich betrachtete den Bogen und versuchte, mich zu erinnern, wo Ferde die Zeichen auf seinen Körper gemalt hatte. „Da waren ein paar Symbole, die nicht auf dem Papier sind.“
„Bitte“, sagte Tula mit geschlossenen Augen. Ihr Arm zitterte, als sie die rechte Hand ausstreckte. „Ich kenne sie auswendig.“
Bain reichte ihr das Pergament, während Dax seine Papierrollen auf den Boden legte und mit einem dünnen Holzkohlestift den Umriss eines Mannes zeichnete. Ein paar Sekunden lang betrachtete Tula die Symbole, ehe sie ihre Reihenfolge aufsagte. Sie begann mit Ferdes linker Schulter, hinüber zu seiner rechten und ging, als ob sie auf seinem Körper wie in den Zeilen eines Buches läse, Schritt für Schritt tiefer.
Als Tula zu einem Zeichen kam, das nicht auf Bains Blatt zu sehen war, skizzierte ich es für Dax auf ein Stück Papier. Obwohl meine Zeichnung im Vergleich zu seiner sehr unbeholfen war, gelang es ihm, mein Gekritzel auf seine Blätter zu übertragen.
Tula geriet ins Stammeln, als sie Ferdes Lenden erreichte. Beruhigend drückte Bain ihre Hand und wies trocken darauf hin, wie sehr der Mann für seine Kunst gelitten haben musste. Tula kicherte leise – eine Reaktion, die sie selbst zu überraschen schien. Ich verkniff mir ein Lächeln. Tula hatte den ersten Schritt auf dem Weg zu ihrer Genesung getan.
Sie hatte sich die Symbole auf dem Rücken ihres Peinigers gut gemerkt. Ich zuckte innerlich zusammen, als ich daran dachte, dass sie fast zwei Wochen seine Gefangene gewesen war. Sie erinnerte sich auch an andere Dinge über ihn – an die Narben auf seinen Fußgelenken, die Größe seiner Hände, den roten Schmutz unter seinen Fingernägeln, die Form und das weiche Material seiner roten Maske und seine Ohren.
„Wieso seine Ohren?“, wollte Bain wissen.
Tula schloss die Augen, und mit zitternder Stimme erklärte sie, dass er jedes Mal, wenn er sie zu Boden gepresst und tief in sie eingedrungen war, seinen Kopf abgewandt hatte, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Sie hatte sich auf sein Ohr konzentriert, weil es ihr dann leichter fiel, die Schmerzen zu ertragen. Bei seiner ersten Vergewaltigung hatte sie ihm ins rechte Ohr gebissen. Noch sehr gut erinnerte sie sich an das Gefühl der Befriedigung, das sie empfand, als sie den warmen, metallischen Geschmack seines Blutes im Mund spürte.
„Ein kleiner Triumph für mich“, sagte Tula, und dann ging ein Schaudern durch ihren Körper, der sogar ihr Bett erbeben ließ. „Aber ich habe es nie wieder getan.“
Dax, der, immer noch auf dem Boden sitzend, die Zeichnungen nach Tulas Angaben so exakt wie möglich angefertigt hatte, wartete, bis der Ausdruck des Abscheus aus seiner Miene verschwunden war, ehe er ihr sein Bild gab.
Nach einigen kleineren Verbesserungen reichte Tula das Blatt an Bain weiter. „Das ist er“, sagte sie.
Die Aktion hatte Tula so sehr angestrengt, dass sie eingeschlafen war, noch ehe Dax seine Utensilien einsammeln konnte.
Ich berührte Bain am Ärmel.“ Kann ich Euch bitte
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