Yelena und die Magierin des Südens - Snyder, M: Yelena und die Magierin des Südens
Kraftquelle wird beschädigt und in ihrer Wirkung beeinträchtigt, denn es entstehen Löcher im Tuch. Dieses Risiko dürfen wir auf keinen Fall eingehen. Bald aber wirst du nicht mehr lernfähig sein, und deshalb bleibt uns keine andere Wahl, als dich zu töten, bevor du dieses Stadium erreichst.“
„Wie viel Zeit habe ich noch?“, fragte ich.
„Ein Jahr. Vielleicht ein wenig länger, wenn es dir gelingt, dich selbst zu kontrollieren. Danach werden wir dir nicht mehr helfen können. Und wir brauchen dich, Yelena. Mächtige Zauberer sind rar in Sitia.“
Fieberhaft dachte ich über meine Möglichkeiten nach. Ihre Machtdemonstration hatte mich davon überzeugt, dass sie eine größere Bedrohung darstellte, als ich geglaubt hatte, und dass es absolut tö richt wäre, ihr zu vertrauen. Wenn ich jedoch nicht mit ihr käme, würde sie mich auf der Stelle töten.
Also zögerte ich das Unvermeidliche hinaus. „Gib mir noch ein Jahr Zeit, um ein dauerhaftes Gegenmittel und eine Möglichkeit zu finden, nach Sitia zu fliehen. Ein Jahr, in dem ich nicht befürchten muss, von dir getötet zu werden.“
Sie sah mir tief in die Augen. Der Druck in meinem Kopf nahm zu, als sie den mentalen Kontakt verstärkte, um nach Hinweisen zu suchen, ob ich sie hinters Licht führen wollte.
„In Ordnung. Ein Jahr. Versprochen.“ Sie schwieg.
„Rede weiter“, forderte ich sie auf. „Du willst dieses Treffen bestimmt nicht beenden, ohne mir zu drohen. Oder mich vor et was Entsetzlichem zu warnen. Nur zu! Daran bin ich gewöhnt.Ein Gespräch ohne Einschüchterung wäre etwas vollkommen Neues für mich.“
„Du tust so mutig. Dabei weiß ich, dass du deine Hose nass machen würdest, wenn ich auch nur einen Schritt näher käme.“
„Ja. Und zwar mit deinem Blut.“ Ich schwang mein Messer. Doch es gelang mir absolut nicht, eine finstere Miene aufzusetzen. Die Drohung klang sogar in meinen Ohren zu lächerlich. Ich musste kichern, und sie lachte. Als die Anspannung nachließ, wurde mir schwindlig, und ich lachte und weinte gleichzeitig.
Die Zauberin wurde wieder ernst. Erneut neigte sie den Kopf und lauschte ihrem unsichtbaren Einflüsterer. „Valek ist in der Nähe. Ich muss gehen.“
„Sag mir noch eins.“
„Was?“
„Woher wusstest du, dass ich die Entflohene sein würde? Zauberei?“
„Nein. Ich habe Quellen, die ich nicht preisgeben darf.“
Ich nickte verständnisvoll. Aber die Frage war einen Versuch wert gewesen.
„Sei vorsichtig, Yelena“, sagte sie, ehe sie im Wald verschwand.
Nun erst wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal ihren Namen kannte.
„Irys“, flüsterte sie in meinem Geist. Und dann riss der mentale Kontakt ab.
Jetzt, da ich über ihre Worte noch einmal nachdachte, schossen mir viele Fragen durch den Kopf, die ich ihr gern gestellt hätte und die alle wichtiger waren als jene nach ihrem Informanten. Doch ich bezwang den Wunsch, ihr hinterherzu rufen. Stattdessen ließ ich mich zu Boden fallen.
Am ganzen Körper zitternd, steckte ich das Messer wieder in meinen Rucksack, holte die Wasserflasche heraus und trank einen großen Schluck. Ich wünschte, die Flasche wäre mit etwas Stärkerem gefüllt, etwas, das beim Hinunterschlucken in meiner Kehle brennen würde. Ein wärmendes Gefühl, auf das ich mich konzentrieren könnte und das die Ratlosigkeit und Verlorenheit, die mich zu überwältigen drohten, vertreiben würde.
Ich brauchte Zeit zum Überlegen, ehe Valek und die beiden Männer mich fanden. Deshalb nahm ich das Seil und den Haken aus dem Rucksack und suchte nach einem geeigneten Ast, um wieder in die Baumkronen zu klettern. Auf dem Weg nach Süden war die körperliche Anstrengung eine willkommene Ablenkung, während ich nebenbei über die Informationen nachgrübelte, die die Zauberin mir gegeben hatte.
Als ich auf einen anderen Pfad durch den Wald stieß, machte ich es mir auf einem Ast bequem. Von hier aus hatte ich den Weg gut im Blick. Sicherheitshalber band ich mich mit dem Seil am Stamm fest. Die Zauberin hatte mir zwar ein Jahr zugebilligt, aber ich wollte sie nicht in Versuchung bringen, indem ich mich ihr als zu einfache Zielscheibe präsentierte. Vielleicht änderte sie ja ihre Meinung. Was wusste ich schon von Magierinnen und ihren Versprechungen?
Sie behauptete, ich hätte Macht. Eine magische Kraft, die ich stets für meinen Überlebensinstinkt gehalten hatte. Wann immer ich jene entsetzlichen Momente durchleben musste, hatte ich mich wie besessen gefühlt. So, als
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