Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
der Burganlage. Die Geschäfte und Ladenlokale, die nach einem genauen Plan zwischen den Wohngebäuden lagen, erleichterten die Orientierung innerhalb der Stadt. Jeder Bezirk trug den Namen des Handels, der dort betrieben wurde. Die Pfirsichstraße befand sich also im Gartenbezirk.
Ein paar Bewohner waren noch unterwegs, um letzte Besorgungen zu erledigen. Zielstrebig schritt ich voran, um nicht die Aufmerksamkeit der Stadtwächter zu erregen, die in den Straßen patrouillierten.
Nach Sonnenuntergang wurden die bunten Häuser immer grauer. Meine Wahrnehmung veränderte sich, und auf einmal hatte ich das Gefühl, mich in einer Welt ohne Farben zu bewegen. Die Fassaden wirkten wie ausgebleicht. Die Stadt machte den Eindruck, als sei sie von Geistern bewohnt.
Als ich mit dem Fuß gegen einen verborgenen Rinnstein stieß, stolperte ich unvermittelt in die reale Welt zurück. Wahrscheinlich hingen die merkwürdigen Sinneseindrücke mit meinem Hunger zusammen. Ich legte einen Schritt zu, denn ich wollte die Adresse finden, ehe die Laternenanzünder mit ihrer Arbeit begannen. Die Pfirsichstraße schien unbewohnt zu sein. Erst als ich in eine dahinter liegende Gasse einbog, entdeckte ich Hinweise auf Menschen.
Ein Feuerschein leuchtete aus Nummer dreiundvierzig. Im Schatten der Gebäude schlich ich mich zur Hintertür. Dabei zupfte ich einen magischen Faden und erkundete die Umgebung. In dem Haus entdeckte ich Porter, der mit zwei Mädchen auf mich wartete. Sie waren nervös, weil sie befürchteten, entdeckt zu werden. Aber nichts deutete auf einen Hinterhalt hin.
Einmal mehr wurde mir bewusst, wie sehr ich mich auf meine Magie verließ. Und das nicht nur, wenn ich nach Feinden Ausschau hielt, sondern sogar bei Kiki. Würde ich überhaupt auf die Zauberei verzichten können? Bestimmt würde es mir sehr schwerfallen.
Porter schien hinter der Tür gewartet zu haben, denn sie wurde sofort geöffnet, nachdem ich leise angeklopft hatte. Rasch zog er mich ins Zimmer und schloss die Tür.
„Hat dich jemand gesehen?“, erkundigte er sich.
„Nein.“ Ich schaute mich im Zimmer um. Es war klein und ordentlich. Die Sitzgruppe bestand aus einem Sofa und einem Stuhl. Die Mädchen sahen nervös aus. Sie saßen mit steifem Rücken auf der Sofakante und streichelten drei Hunde, die ihnen zu Füßen lagen. Die beiden trugen ein schlichtes rotes Leinenkleid – die Uniform der Schülerinnen. Ihre Gesichter waren bleich, und ihre Blicke wanderten zwischen Porter und mir hin und her.
„Du hast gesagt, ich könnte dir helfen?“, begann ich.
„Wir gehen ein ziemliches Risiko ein, wenn wir dir vertrauen.“ Porter hob einen halb abgekauten Lederknochen vom Boden auf. Er hielt das Hundespielzeug fest umklammert, während er mich durchdringend musterte. „Versprich mir, weder Valek noch sonst jemandem etwas davon zu erzählen.“
„Das kann ich erst, wenn ich weiß, worum es geht.“
Der Lederknochen knackte in Porters Händen. Seufzend schaute er zu den Mädchen hinüber. Er ließ seine Schultern sinken, als seine Anspannung nachließ. Mit einer Handbewegung zeigte er auf den leeren Stuhl. „Setz dich. Es wird etwas Zeit in Anspruch nehmen.“
Sobald ich saß, kam einer der Hunde zu mir und legte den Kopf in meinen Schoß. Sein graues Fell war struppig, und er bettelte um Aufmerksamkeit. Ich streichelte seinen glatten Kopf und kraulte ihn hinter den Ohren. Sein Schwanz klopfte auf den Boden. Der Geruch von nassem Hund und kokelndem Holz hing schwer und stickig in der Luft.
Porter trommelte mit dem Knochen auf sein Bein, während er redete. „Ich habe ein Netzwerk von Leuten in Ixia aufgebaut, die mir dabei helfen, Kinder außer Landes zu schmuggeln.“
Beunruhigt beugte ich mich nach vorn. Mogkans Entführerring kam mir in den Sinn. Er hatte Jugendliche von Sitia nach Ixia verschleppt, um sie dort für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen. „Kinder?“
„Für mich sind sie jedenfalls wie Kinder.“ Porter lächelte den beiden Mädchen wie ein wohlmeinender Großvater zu. „Heranwachsende, die gerade ihre magischen Fähigkeiten entdeckt haben.“ Er zeigte zum Sofa. „Junge Menschen wie Liv und Kieran. Ich habe ihnen bei der Flucht nach Sitia geholfen, ehe ihre Begabung entdeckt wurde. Aber ich fürchte, etwas ist schiefgelaufen.“
„Was denn?“, hakte ich nach, als Porter in Gedanken zu versinken schien.
„Vergangenen Monat war ich in MD-7. General Rasmussen hat einen schönen Wolfshund, der sich mit meiner
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