Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
Gedächtnis geblieben war. Beim Gedanken an sie wurde mir angst und bange. Hoffentlich war sie noch am Leben. Der Wunsch, nach Sitia zurückzukehren, wurde immer stärker, je öfter ich an Irys und Bain dachte, die im Kerker des Bergfrieds gefangen gehalten wurden.
Gemeinsam verließen die beiden Mädchen Porters Wohnung, nachdem ich ihnen gezeigt hatte, wie sie sich verhalten mussten. Ich wartete, bis sie weit genug entfernt waren, bevor ich ebenfalls aufbrach.
Rasch kontrollierte ich die Gegend um Porters Wohnung mit meiner Magie. Rund um die Häuser war es ruhig, da alle Bewohner ihr Tagewerk beendet hatten. Niemand war mehr in den Gassen oder Straßen unterwegs.
Ich winkte Porter zum Abschied zu. Vor der Tür wartete ich, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Als die Schatten nicht mehr so schwarz waren, schlug ich den Weg zur Straße ein.
Auf halber Strecke merkte ich plötzlich, dass mich jemand verfolgte. Instinktiv griff ich nach meinem Schnappmesser. Bevor ich mich jedoch umdrehen konnte, traf mich etwas im Nacken. Ich entdeckte Star, die ein dünnes Blasrohr sinken ließ.
Rasch zog ich den Pfeil aus meinem Hals. „Was soll das?“
„Du bist mir vielleicht eine große Zauberin“, höhnte Star. „Nicht einmal gegen meine beschränkten Fähigkeiten kannst du dich zur Wehr setzen.“
Plötzlich drehte sich alles um mich, und ich begann zu schwanken. Star hielt mich fest. Ich war zu schwach, um mich aus ihrem Griff zu befreien. „Was …?“
Sie nahm mich in die Arme. „Valeks fantastischer Zaubersaft. Entspann dich, Yelena. Star wird sich schon um dich kümmern.“
Mein letzter klarer Gedanke galt ihren beschwichtigenden Worten. Sie passten ganz und gar nicht zu ihrem grimmigen Gesichtsausdruck.
23. KAPITEL
D ie Erde bewegte sich. Erinnerungsfetzen jagten mir durch den Kopf und wollten sich nicht zu einem logischen Gedanken verbinden. Warme Hände führten mich. Jedes Mal, wenn sie mich losließen, kam mir der Boden entgegen, und meine Füße versagten mir den Dienst.
Einen Moment lang überlegte ich, wieso ich überhaupt keine Angst hatte, ehe sich alles um mich herum zu drehen begann. Flach auf dem Rücken zu liegen war am angenehmsten. Ich spürte Bewegung und roch Pferde.
Was tat ich bloß in diesem Hühnerkäfig? Hatte ich nicht etwas Wichtiges vorgehabt? Der Gedanke ging mir nicht aus dem Kopf, bis ich von den Staubpartikeln abgelenkt wurde, die im Sonnenlicht tanzten. Konzentriert studierte ich die Lichtflecken über mir. Sie verwandelten sich in Dolche. Ich wollte sie beiseiteschieben. Meine Hände klebten mir am Rücken. Ein Lederriemen war zwischen meine Zähne gespannt. Doch mit dem Sonnenlicht verschwand auch das Problem.
Zähflüssig wie Sirup verrann die Zeit. Mein Verschlag wurde geöffnet. Und geschlossen. Gesichter lugten herein. Münder redeten. Worte klangen mir in den Ohren. Ich verstand so etwas Ähnliches wie iss, trink und schlaf . Andere erinnerten mich an das Gebrabbel von Babies. Kuckuck. Kuckuck ! Ein Stich in meinen Arm, meinen Nacken oder Rücken. Die Luft war voller Farben. Mein Hühnerstall tanzte auf einem unsichtbaren Meer.
Ein kleiner Teil von mir, der noch klar denken konnte, wollte etwas unternehmen. Freiheit. Die Mehrheit herrschte, und ich ließ die Welt an mir vorüberziehen, zufrieden in meinem Stall. Mein Stall. Mein Stall. Ich musste kichern.
Das Feuer weckte mich auf. Ein Flammenfinger stach zu. Ich zuckte zurück. Ich war nicht mehr in meinem Verschlag. Die Bruchstücke in meinem Gehirn formten sich zu einem zusammenhängenden Gedanken. Die Luft wurde unsichtbar; ich konnte meine Umgebung sehen. Ich wappnete mich für einen weiteren Stich. Als er ausblieb, drehte ich vorsichtig den Kopf. Neben mir standen einige Wächter, die Stiefel trugen. Ich lag auf der Seite vor einem Lagerfeuer. Rings um die Flammen herrschte tiefe Dunkelheit, und meine Hände waren immer noch hinter meinem Rücken gefesselt.
Gesprächsfetzen drangen an mein Ohr. Richtige Worte, kein Babygebrabbel. Doch wie lange würde das dauern? Allmählich, wenn auch nur sehr mühsam, konnte ich wieder denken.
Die Stimme eines Mannes. „Besser nicht“, sagte er. „Sie sollte in dem Zustand bleiben, bis wir unser Ziel erreicht haben. Jal ist der Einzige, der stark genug ist, sich ihrer Kraft zu widersetzen.“
Eine vertraute Stimme meldete sich zu Wort. „Ich habe es ihr versprochen. Sie soll wissen, wer sie gefangen genommen hat und was wir mit ihr
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