Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
ein – wenn auch trügerisches – Gefühl von Sicherheit. Trotzdem wollte ich noch ein wenig weiterreiten, ehe wir Rast zum Schlafen machten.
Die nächsten drei Tage zogen sich hin. Eine merkwürdige Stimmung herrschte zwischen uns. Auf unserem Weg zur Zitadelle wechselten wir kaum ein Wort. Mondmanns Bemerkungen über meine Zukunft gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Wie ein schriller Schrei hallten sie in meinen Ohren wider. Ich hätte gerne gewusst, wer mich zwingen würde, Sklavin zu werden, und wann, aber Mondmann zu fragen war zwecklos. Er hätte mich lediglich mit einer weiteren rätselhaften Antwort abgespeist, deren Sinn zu entschlüsseln ich nicht klug genug war. Die Luft wurde kalt und feucht, während wir weiter nordwärts zogen, und in einer der Nächte gerieten wir in einen Hagelschauer, der unsere Reise sehr unangenehm machte.
Endlich tauchten die weißen Marmorwände der Stadt am Horizont auf. Der Anblick machte mich so glücklich, dass ich Kiki spontan die Sporen gab. Achtzehn Tage war ich fort gewesen, und ich vermisste Irys, meine alte Mentorin, die alle meine Fragen mit erfrischender Offenheit beantwortete, ebenso wie meine Freunde im Bergfried der Magier.
Wir betraten die Zitadelle durch das südliche Tor der äußeren Befestigungsmauer und lenkten die Pferde durch die Straßen. Die Wege waren übersät von vereisten Pfützen. Bewohner eilten durch den Regen, der immer wieder fiel, und im düsteren Licht verbreiteten die gewaltigen Marmorgebäude eine melancholische Stimmung. Der Geruch von feuchter Wolle hing in der Luft. Wir ritten zur Versammlungshalle, die neben den anderen Verwaltungsgebäuden im südöstlichen Viertel der Zitadelle lag.
Zu Hause ? Sehnsüchtig betrachtete Kiki die vier Türme des Bergfrieds.
Bald , tröstete ich sie. Ruh dich jetzt erst einmal hier aus . Hinter dem Gebäude befand sich der Stall für die Pferde der Ratsmitglieder. Wenigstens stehst du dann nicht mehr im Regen . Sobald Kiki und Garnet untergebracht waren, betraten wir die Halle.
Ein Wachposten teilte uns mit, dass soeben eine Versammlung zu Ende gegangen sei und wir schnell hineingehen sollten, bevor die Ratsmitglieder für den Rest des Tages verschwanden. In der Großen Halle entdeckte ich Irys, die mit Bain Bloodgood, dem Zweiten Magier, ins Gespräch vertieft war. Stimmengewirr erfüllte den Raum. Die Ratgeber und ihre Gehilfen standen in kleinen Gruppen beisammen und diskutierten erregt. Der barsche Tonfall und die gereizten Stimmen ließen ahnen, dass die Aussprache nicht sehr gut verlaufen war. Ein unterschwelliges Gefühl von Furcht verursachte mir eine Gänsehaut.
Mondmann und Tauno steuerten sofort auf ihren Berater Harun Sandseed zu. Ich hielt mich im Hintergrund, weil ich mich nicht in die Angelegenheiten der Sandseeds einmischen wollte. Irys eilte mir entgegen. Sie trug ihre strenge „Vierte-Magierin-Miene“ zur Schau – wie immer, wenn sie besorgt war. Mein Blick wanderte von Gruppe zu Gruppe – bis ich den Grund für ihre Beunruhigung entdeckte.
Cahil stand mit Roze Featherstone und einem weiteren Berater zusammen. Er lachte und redete mit ihnen, als ob er zu ihnen gehörte.
16. KAPITEL
I ch ging zu Cahil, um ihn zur Rede zu stellen. Eigentlich hätte er im Kerker liegen müssen, weil er einem Mörder zur Flucht verholfen und ihn unterstützt hatte, anstatt mitten in der Großen Versammlungshalle zu stehen und mit Roze zu plaudern. Meine Besorgnis nahm noch zu, als ich ein paar Würmer im Saal erblickte.
Doch Irys ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. Sie packte mich am Arm und nahm mich beiseite.
„Jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt“, beschwor sie mich in einem fast flehentlichen Tonfall.
„Was ist hier los?“, wollte ich wissen.
Irys schaute sich im Saal um. Einige Berater in der Nähe hätten unser Gespräch unweigerlich mitbekommen. Deshalb beschlossen wir, uns mental zu unterhalten.
Cahil behauptet, er sei die ganze Zeit auf geheimer Mission unterwegs gewesen, berichtete sie. Er versichert, Ferde nicht befreit zu haben .
Warum sollte ihm das einer glauben ? entgegnete ich.
Weil Roze seine Geschichte bestätigt hat .
Die Nachricht traf mich wie ein Blitz. Eine Sekunde lang hoffte ich, sie missverstanden zu haben. Aber ihre düstere Miene blieb unverändert.
Es kommt noch schlimmer, fuhr sie fort. Cahil behauptet steif und fest, er habe Marrok dabei erwischt, wie er Ferde rettete, und bei seinem Verhör habe Cahil herausgefunden, dass Ferde sich mit
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