Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
Leif verstand überhaupt nicht, wie brenzlig die Situation war, in der wir uns befanden. Die Prahlerei des Captains kam nicht von ungefähr. Ich war mir ziemlich sicher, dass sich die Gerüchte über meinen Hinrichtungsbefehl wie ein Lauffeuer in ganz Ixia verbreitet hatten – ganz im Gegensatz zu der Tatsache, dass der Commander diese Anweisung seinerzeit eigenhändig zerrissen hatte, als ich mich bereit erklärte, als Vermittlerin zwischen den beiden Ländern tätig zu werden.
Die Gefahr, in der ich schwebte, war umso größer, da jeder in Sitia und Ixia glaubte, der Commander sei in Ixia geblieben, als die Delegation aus Ixia vor einigen Monaten Sitia einen Besuch abgestattet hatte. Der Commander hatte sich als Botschafterin Signe verkleidet, und sie besaß nicht die Vollmacht, einen Hinrichtungsbefehl zu widerrufen.
In Ixia durften sich keine Magier aufhalten, wenn sie nicht ausdrücklich eingeladen waren, und jeder Ixianer, der über magische Kräfte verfügte, wurde getötet. Diese Verordnung machte meine Lage ziemlich unberechenbar.
Während man uns von offizieller Seite nicht so einfach hätte hinrichten können, hatte der Captain den Auftrag, jeden, der sich nicht den Regeln des Gesetzes beugte, auf der Stelle zu töten. Falls er das tat, müsste er sich allerdings vor Valek rechtfertigen. Gut möglich, dass der den Captain in der Luft zerreißen würde. Aber für diese Überlegungen blieb mir jetzt keine Zeit.
Stattdessen erklärte ich: „Der Commander hat mich zur Vermittlerin ernannt, um zwischen den beiden Ländern zu verhandeln. Damit bin ich sozusagen eine neutrale dritte Partei und reise demnach nicht mit einer Eskorte von Sitia. Stattdessen komme ich mit Freunden. Die Wachtposten haben Jagd auf ihn gemacht.“ Ich zeigte auf Marroks ausgestreckte Gestalt. „Ich habe etwas sehr Wichtiges mit dem Commander zu besprechen, und zwar sofort.“
Die Armbrust des Captains schwankte. Er schien über meine Antwort nachzudenken. Ich zupfte einen magischen Faden und drang in sein Bewusstsein ein, wobei ich seine Gedanken und Gefühle nur oberflächlich berührte.
Sein Ehrgeiz focht einen Kampf mit seiner Klugheit aus. Der Captain hatte keine Lust mehr, die Grenze zu bewachen; er sehnte sich nach einer Beförderung und neuen Aufgaben. Wenn er die Magier aus dem Süden tötete, würde sein Ansehen steigen, und man würde ihn zum Major befördern. Aber was, wenn Yelena die Wahrheit sagte? Der Commander wäre alles andere als glücklich, wenn seine Vermittlerin getötet würde. Andererseits war es gefährlich, eine Magierin in die Nähe des Commanders kommen zu lassen. Wenn Yelena nun log und in Wirklichkeit plante, ihn umzubringen?
Ich beeinflusste seine Gedanken dahingehend, dass er uns vertraute und Glauben schenkte. Außerdem sollte er davon überzeugt sein, etwas Verdienstvolles zu tun, wenn er uns zu seinem Vorgesetzten führte.
„Ihr begleitet mich und meine Truppe“, befahl der Captain schließlich. „Wir werden eure Waffen und Pferde beschlagnahmen, und ihr werdet allen Befehlen Folge leisten. Beim geringsten Anzeichen von Widerstand werdet ihr gefesselt.“ Er gab seinen Soldaten ein Zeichen, näher zu treten. „Durchsucht sie. Was ist mit ihm?“
Ich schaute zu Marrok. „Lass mich seine Wunden behandeln, Captain …“
„Nytik.“ Erneut gab der Captain einem seiner Soldaten ein Zeichen. „Lieutenant, durchsuche ihn nach Waffen.“
Nachdem der Lieutenant Marroks Schwert an sich genommen hatte, erlaubte er mir, ihn zu untersuchen. Der Pfeil war in Marroks rechte Seite eingedrungen, hatte aber nicht seine Rippen getroffen. Da er nicht sehr tief im Fleisch steckte, hatte Marrok auch nicht viel Blut verloren. Warum aber war er bewusstlos?
Ich benutzte meine Magie, um ihn von Kopf bis Fuß zu untersuchen. Man hatte ihn geschlagen. Zwei Rippen und das Schlüsselbein waren gebrochen. Zahlreiche Wunden bedeckten seinen Körper, und sein Kiefer war angeknackst.
„Leif, ich brauche Hilfe.“ Marroks zahlreiche innere Verletzungen zu heilen würde mich ziemlich erschöpfen, aber ich brauchte noch etwas Energie für den Fall, dass Captain Nytik seine Meinung änderte.
„Einen Breiumschlag?“ Leif kniete sich neben mich.
„Nein. Seine Geschichtsfäden sind ausgedünnt.“ Mondmann legte seine große Hand auf Marroks Stirn.
Zornig funkelte ich Mondmann an. „Lass ihn in Ruhe. Leif, wir werden erst die körperlichen Verletzungen behandeln.“
Mondmann zog sich zurück. Leif und ich
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