Yoga Bitch
eine Wahl, kein Sixpack zu haben.
Es gibt immer mehr Möglichkeiten, Sport zu treiben. Es nicht zu tun, lässt sich also immer schlechter entschuldigen.
Wenn sie es nicht übertreiben, sehen die Körper der Fitten nun mal besser aus. Trotz des einen oder anderen Gedankens an die Gesundheit würden die meisten von uns, wenn sie ehrlich wären, wohl das sagen, was Kevin Spacey in dem Film American Beauty auf die Frage antwortete, warum er angefangen habe, zu trainieren: »Ich will nackt gut aussehen.«
Trotzdem sollte dabei nicht vergessen werden, dass der Großteil der Ersten Welt unfit und übergewichtig ist, Tendenz steigend. Nur: In Großstädten begegnen einem täglich Jogger oder Mädchen mit Yoga-Matten. Nachts sieht man hell erleuchtete Fitnessstudios, darin schlanke Silhouetten beim Spinning mit rhythmisch wippenden Pferdeschwänzen. Wer gerade auf dem Weg zur Tankstelle ist, um mehr Eiscreme zu holen, bekommt leicht ein schlechtes Gewissen. Es ist so: Die Schere zwischen Couch-Potatoes und Fitness-Freaks wird immer größer und nähert sich dem Zustand an, der in Kalifornien seit Jahrzehnten existiert.
*
Die erste Yoga-Euphorie war verflogen, an ihrer Stelle machte sich eine satte Zufriedenheit breit, als das Telefon klingelte. Es war meine Freundin Sarah, die seit drei Jahren in New York lebt und ein sogenanntes Manhattan Makeover über sich hat ergehen lassen, um dort optisch nicht aus dem Rahmen zu fallen. Das bedeutete eine neue Konfektionsgröße (die amerikanische Size Zero), neue Zähne, neue Fixkosten (Botox und Filler) und dreimal pro Woche Yoga, in Sarahs Fall vor der Arbeit. (»Wenn ich es nicht ganz in der Früh hinter mich bringe, hängt es mir den ganzen Tag im Nacken«, erklärt sie ihre 6-a.m.-Stunden. Erleuchtung klingt irgendwie anders.) Ich erzählte Sarah von meiner ersten Yoga-Stunde. Ihre Reaktion klang so ähnlich wie »mäh«.
»Ach, versteh’ mich nicht falsch«, sagte sie und klang müde. »Es ist nur so: Du warst eine der wenigen, die sich verweigert haben und dabei noch gut aussahen. Eine Anti-Fitness-Rebellin mit ihrem ›Fuck-Yoga‹-Shirt. Ach ja …«
Hilfe! Konnte ich es niemandem mehr recht machen?
*
Fuck Yoga. Am nächsten Morgen hatte ich den schlimmsten Muskelkater aller Zeiten. Wirklich. Den. Schlimmsten. Muskelkater. Aller. Zeiten. Mir taten die Flächen zwischen meinen Rippen weh und meine Schultern, mein Rücken, mein Hintern, meine Arme, meine Handgelenke, meine Beine, meine Finger, meine Zehen, mein Nacken, die Sehnen an meinem Hals, meine Kopfhaut. Mit tat alles weh, was ich besaß, und dann tat mir auch noch das weh, wovon ich gar nicht gewusst hatte, dass ich es besaß.
Das war in meinen Augen ein gutes Zeichen. Es hatte gewirkt. Was wehtut, muss wirken. Ich war ja kein Couch-Potato, der noch nie versucht hatte, in die Kaste der Fitness-Freaks aufzusteigen. Ich hatte schon vieles in Angriff genommen, doch nichts hatte wirklich gewirkt, oder es hat mich gelangweilt, bevor es wirken konnte. Was die Sache erschwerte, war meine Unlust an Bewegung und meine grottenschlechte Koordination. Trotz alldem habe ich als Kind der 80er natürlich Aerobic probiert und danach auch Tai-Chi, Pilates und Kick-Boxing. Sogar in drei Fitnessstudios bin ich Mitglied geworden, doch nichts habe ich länger als viermal in Folge durchgehalten. Doch nach einer Stunde Yoga spürte ich: Das könnte was werden. Ich legte das »Fuck Yoga«-Shirt in die Flohmarkt-Kiste und wurde damit eine Soldatin in der Yoga-Armee. Zunächst mit unlauteren Zielen, denn ich war von den körperlichen Auswirkungen begeistert. Ich wollte nie wieder durch einen Hexenschuss flachliegen, ich wollte im Sommer Tops mit Spaghettiträgern tragen, ich wollte, dass mein Hintern gut aussieht. (Ich war im Moment ganz glücklich ohne Herrn Arschloch, aber vielleicht würde ich bald einen Herrn Vielleicht-diesmal-kein-Arschloch kennenlernen. Dabei hilft ein guter Hintern durchaus. Nicht ihm. Mir. Mein Selbstwertgefühl war gottlob nicht daran gekoppelt, wie attraktiv mich Männer fanden, sondern wie attraktiv ich mich selbst fand. Ich wollte für mich selbst nackt gut aussehen.)
Was ich damals noch nicht wusste: Yoga war meine Einstiegsdroge. Yoga war das Haschisch, das mich zu Crack und Heroin führen sollte, denn auf der Suche nach dem perfekten Ich würde ich viel ausprobieren. Bald sollte sich mein ganzes Leben darum drehen, eine Yoga Bitch zu sein, und die Sucht würde weit streuen, in Bereiche, von denen ich gar
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