Yoga Bitch
plötzlich an zu weinen, ohne traurig zu sein, also rein körperlich – Tränenflüssigkeit ohne Kontext, wenn man so will. Ich war nicht traurig, ich schluchzte nicht, ich weinte einfach, ohne es zu wollen oder zu wissen, warum.
Keine Ahnung, was das sollte, aber: In dieser Stunde ging alles einfacher und ich spürte eine Ruhe und ein Glücksgefühl, das ich in dieser Kombination und Intensität noch nicht kannte. Einfach so, während ich Bein vor, Bein zurück machte und atmete und anspannte. Ich war mit derart vielen körperlichen Dingen gleichzeitig beschäftigt, dass der achtspurige Boulevard, der sonst in meinem Kopf herrschte, zu einer schmalen, nicht befahrenen Einbahnstraße wurde. Bein vor. Bein zurück. Zehen flexen. Arme hoch. Das Glück schien in diesen scheinbar einfachen Bewegungen zu liegen.
Gegen Ende erinnerte Jana uns, noch einmal daran zu denken, wem wir die Stunde gewidmet haben.
»Mundwinkel nach oben«, sagte sie.
Haha. Richtig. Ich konnte mich bei dem Gedanken an meinen Exfreund offenbar besser verbiegen als lächeln.
Kurz vor dem Schlussgebet – oder wie immer man das nannte – sagte Jana, durch Yoga kämen manchmal starke Gefühle an die Oberfläche und manche Menschen würden sogar beginnen zu weinen, ohne zu wissen, warum. Verdammt! Hatte sie etwa geguckt, als wir alle die Augen geschlossen hatten, und gesehen, dass mir Tränen über die Wangen kullerten? Nein, nein. Ich schämte mich sofort für den Gedanken, denn das würde sie nicht tun. Wahrscheinlich war ich bloß nicht die Erste, die beim Yoga geweint hatte. Na ja. Solange ich nicht jedes Mal heulte, sollte es mir egal sein.
Als ich nach Hause kam, wartete Sophie vor der Haustür.
»Ich habe keine Sojamilch mehr«, sagte sie, und dann mürrisch: »Sag mal, kommst du vom Yoga?«
»Yup.«
»Also gefällt es dir?«, fragte sie etwas ungläubig.
»Sophie, es ist unglaublich. Ich habe jetzt schon das Gefühl, dass mein Körper geformt wird und mein Blick geschärft.«
»Aber das ist doch genau das Yoga-Gelaber, das du …«
»Ja, aber es stimmt. Es ist gar kein Gelaber.«
»Und nervt dich das Om nicht?«
»Ich habe es ehrlich gesagt noch nicht mitgesungen.«
»Aha.«
»Nix aha. Mir macht das Om nichts aus. Es ist sogar ein netter Klang. Außerdem dauert das Om zwei Minuten und der Rest eineinhalb Stunden. Ehrlich gesagt ist es das Körperliche, was mir so gefällt. Und das Gelaber über die Auswirkungen – na ja, bisher kann ich nichts Gegenteiliges behaupten«, sagte ich.
»Ich habe ja nichts dagegen, dass du’s machst. Ich bin mir sicher, es ist gut für deinen Rücken und so. Aber bitte werd’ mir ja nicht eine dieser hysterischen Yoga Bitches«, sagte sie. Es klang mehr wie eine Warnung als eine Bitte.
5
»I do Yoga and Pilates / And the room is full
of hotties / So I’m checking out the bodies / And you know I’m satisfied.« [3]
Madonna, American Life
Die Saat des Yoga wächst in jedem Menschen zu etwas anderem heran, sagte einst Sri T. Krishnamacharya, einer der wichtigsten Yoga-Meister und der Mann, dem wir Yoga in der Form, wie wir es heute in der Ersten Welt betreiben, zu verdanken haben. (Krishnamacharya glaubte an die Einzigartigkeit des Menschen, dass es für jeden Einzelnen das passende Yoga gibt und dass jeder es betreiben kann, denn: Wer atmen kann, kann Yoga üben. Er selbst konnte seinen Herzschlag angeblich bis zu zwei Minuten lang anhalten und wurde 100 Jahre alt.) Bei mir wuchs die Yoga-Saat folgendermaßen: Ich hatte nun immer perfekt pedikürte Füße mit einem auffälligen Nagellack auf den Zehen. Man verbringt im Yoga wahnsinnig viel Zeit damit, seine Füße anzustarren, und da will man doch etwas sehen, das einen nicht langweilt. Außerdem bewirkte die Saat noch etwas anderes: Die Anflüge von Yoga-induzierter Glückseligkeit fachten meine Eitelkeit an. Je ruhiger und ausgepowerter ich mich nach dem Yoga fühlte, umso mehr spornte mich das an, meinen körperlichen Zustand zu verbessern. Ich holte wieder das Horror-Foto von der Hochzeit hervor, empfand diesmal aber nicht diese Verzweiflung wie noch vor sechs Wochen, sondern fing an zu analysieren, welche Probleme ich angehen musste. Die Zähne kämen zuerst an die Reihe, denn mir war klar, dass das länger dauern und finanzielle Schwierigkeiten bereiten könnte.
Ich rief Rosa an. Sie war durch ihren Mann ein Teil dessen, was man die »Geld-Society« nennt, und hatte drei Freundinnen, die den ganzen Tag nur shoppten, zu Mittag aßen
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