Yoga Bitch
befreite sich aus der Proletarierklasse, indem er sich für 20.000 Pfund ganz neue Zähne machen ließ. (Das hatte vielleicht auch mit der ein oder anderen besoffenen Schlägerei zu tun. Trotzdem: Wenn er mal lächelt, ist es, als zeige er der ganzen nordenglischen Arbeiterklasse den Stinkefinger, à la: Haha! Ihr könnt euch das nicht leisten!)
Aber Moment mal:
Julia Roberts?
Tom Cruise?
Gwen Stefani?
Demi Moore?
Liam Gallagher?
Kenne ich die? Was habe ich mit denen zu tun? Seit wann sind ihre Maßstäbe eigentlich zu meinen geworden?, überlegte ich.
Natürlich interessierten mich Prominente und das, was sie taten, im Rahmen meines Berufs, denn Prominente und eine weite Medienverbreitung beeinflussen Trends im großen Rahmen. Deshalb, dachte ich bisher, würde ich mich mit ihnen beschäftigen. Doch in dieser Nacht der pochenden Schmerzen für ein Hollywood-Lächeln schwante mir, dass sie mich auch privat tangierten, denn sie bestimmten mein Bild von Schönheit und gaben die Machbarkeit vor.
Ich rief Tante Ida an, die oft an Schlaflosigkeit litt. Vielleicht hatte ich ja Glück. Hatte ich.
»Seit ich Yoga mache, ist es sooo viel besser geworden«, sagte sie. »Aber heute ist verdammter Vollmond.«
»Da kann man nix machen. Hör mal, wie war das früher mit, sagen wir, Schauspielerinnen? Habt ihr euch an denen orientiert?«
»Na ja, ich fand Brigitte Bardot immer sehr schön. Und Audrey Hepburn. Ach, und Jean Seberg. Andere weniger«, sagte sie.
»Aber wolltet ihr so sein wie sie? Also, so aussehen?«
»Ich habe mal versucht, mir die Haare wie Farrah Fawcett zu föhnen. Hat aber nicht so gut geklappt.«
»Ach ja, ich erinnere mich …«
»Ansonsten war aber klar, dass Filmstars eine andere Liga sind. Ich glaube, wir wollten das nicht anders. Und das geht in Ordnung. Ich bin heute ganz froh, nicht wie Brigitte Bardot gealtert zu sein.«
»Aber wusstet ihr damals, was die alles so unternahmen, um schön zu bleiben?«
»Na ja. Man munkelte in den 60ern, Marilyn habe sich die Nase operieren lassen, aber kaum jemand konnte sich vorstellen, was das eigentlich hieß. Nasenoperation? Es war unerhört! Dass sich Maria Callas einen Bandwurm hat einsetzen lassen, glaubte man, schließlich verlor sie 40 Kilo. Wieso fragst du?«
»Ach, ich mache mir gerade Gedanken, wie man früher …«
»Weißt du, was früher auch anders war?«, unterbrach sie mich, immer für eine willkürliche Information gut. »Wenn du dich im Sommer beim Baden umgeschaut hast, gab es keine Cellulite. Selbst bei dicken Frauen nicht! Die Bikinis waren zwar früher nicht so sexy, aber dafür gab es keinen Hüttenkäse auf den Oberschenkeln. Cellulite ist ein neues Phänomen. Darüber solltest du mal nachdenken.«
Ich dankte ihr für die Anregung – obwohl ich in meinem Leben wohl schon genügend über Cellulite nachdachte – und versuchte wieder einzuschlafen. Die Schmerzmittel wirkten zwar inzwischen, bereiteten aber nebenbei Magenschmerzen, die mich weiterhin wach hielten. Ich hatte schon als kleines Mädchen gewusst, dass man für Schönheit leiden muss. Mit 34 erfuhr ich ganz genau, was der Preis für weißere Zähne war: eine schlaflose Nacht. Also weiter nachdenken, das lenkte immerhin ab.
Prominente begleiten uns heute unser Leben lang. Sie sind ein Teil unseres Lebens. Man unterhält sich auf Partys über sie, als wären sie gute Bekannte. Ich weiß eher, wo sich Paris Hilton aufhält als meine Cousine. Ich leide mit Jennifer Anistons Unglück in der Liebe, ich weiß, was Jennifer Lopez zum Frühstück isst. Soziologen haben die Theorie entwickelt, dass Promis für viele Menschen eine Art Ersatzfamilie bilden, und so abwegig scheint es gar nicht: Familien werden immer kleiner und soziale Strukturen sind so ausgerichtet, dass man jahrelang irgendwo wohnen kann, ohne die Nachbarn zu kennen. Doch ein Mensch braucht andere Menschen, die er beobachten kann, an denen er sich orientieren kann, über die er reden (oder auch lästern) kann, und Prominente erfüllen mit ihrer Allgegenwärtigkeit in vielen – gar nicht mal nur einsamen – Leben diese Funktion. Dieses Phänomen scheint eine Rolle bei der Machbarkeit der Schönheit zu spielen: Wir lesen, was Stars tun, um Falten loszuwerden, wir sehen sie strahlend mit einer Yoga-Matte, wir vergleichen Vorher-Nachher-Fotos, wir lästern über Cellulite-Bilder vom Strand oder die neue Lippengröße, doch dabei – und das unterscheidet uns von der Generation meiner Tante – nehmen wir
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