Yoga Bitch
Wesen. Der Körper werde gleichgesetzt mit der Identität. (Also hat meine ganz persönliche Zusammenführung von dem Guten in mir zu dem Guten an mir sogar eine veröffentlichte soziologische Basis. Juhu!) In fast allen Fällen kann aber das vorgegebene, zeitgemäße Kultur-Ideal nicht erreicht werden.
In genau dieses Vakuum fällt alles, was Frauen so anstellen, um aus dem optischen Ist- den Soll-Zustand zu machen. Kein Wunder, dass die Yoga Bitch durchdreht, bei dem Überangebot. Das brachte mich wieder zu Polly in LA: Der Soll-Zustand mag noch so seltsam und übertrieben und unerreichbar sein, wenn er einem nur oft genug vor Augen geführt wird, akzeptiert man ihn schließlich als normal. Das gilt nicht nur für Menschen, die in LA leben. Wir werden pro Woche mit etwa 2000 bis 5000 Fotos digital retuschierter Körper konfrontiert. Unsere Augen sind so daran gewöhnt, Menschen mit perfekter Haut, strahlend weißen Zähnen und trainierten Oberarmen zu sehen, dass wir immer öfter darüber schockiert sind, was passiert, wenn wir uns nicht optimieren oder ab einem gewissen Alter nicht eingreifen. Das, was die Natur für uns bereithält, wirkt immer überraschender und unangenehmer. Natürlich wird in den bunten Blättern geschrien, wenn jemand zu dünn ist oder zu große Karpfenlippen hat, doch den viel größeren Schock lösen Bilder von natürlich gealterten Frauen aus, auch deshalb, weil sie einen immer größeren Seltenheitswert haben. Der Aufschrei ist am größten, wenn eine 44-Jährige in Hollywood genau das hat eintreten lassen, was die Natur vorgesehen hatte.
Oft wird Schönheit mit Durchschnittswerten in Verbindung gebracht. (Ungefähr einmal im Jahr, so kommt es mir zumindest vor, verkündet ein Wissenschaftler, sich jetzt die ideale Frau gemorpht zu haben, die aus lauter durchschnittlichen Werten gebaut sei und das Schönheitsideal darstelle. Das wird dann von einem gruseligen Computergesicht untermalt, das auf mich eine ähnliche Wirkung hat wie Chucky, die Mörderpuppe, dabei aber erstaunlich fad und nichtssagend ist.
Doch Durchschnitt kann manchmal auf Hochglanz poliert werden: Man sehe sich dazu nur Jennifer Aniston an, die perfekt durchschnittlich aussieht und durch viel Geld, Ausdauer, Hilfe und Geschick zur idealen Version ihrer selbst geworden ist.
Es gibt sie vereinzelt, die Hollywood-Schauspielerin Mitte 40, mit der es die Gene nicht so gut gemeint haben, die aber absolut keine Spritze oder irgendeine andere Behandlung zugelassen hat, zum Beispiel Julia Ormond oder Charlotte Lewis. Wie gesagt, man erschrickt vor den Falten, schiefen braunen Zähnen, den schlaffen Wangen, den ausgeprägten Falten. Wenn man hingegen Jennifer Aniston heute mit Bildern von vor sechs Jahren vergleicht, ist ihr Gesicht fast unverändert: ein forever face . (Dabei wären doch sechs Jahre ohne Brad Pitt mal echt ein verständlicher Grund, sich ein paar Falten anzuheulen.)
Forever Faces
– sehen heute besser aus als vor 20 Jahren.
– sehen heute genauso aus wie vor sechs Jahren.
– haben kaum Falten, jedoch nicht gar keine (Nicole Kidman ist deshalb kein forever face, sondern ein lügendes Freak-Plastik-Wachs-Face).
– haben heute viel besser geformte Augenbrauen als früher.
– haben gleichbleibend helle Zähne.
– trainieren mindestens fünf Mal die Woche, jedoch nichts, was dicke Muskeln macht, sondern lange.
– sind sehr dünn, aber nicht dürr, denn wie Französinnen sagen: Ab 40 muss man sich für sein Gesicht oder seinen Hintern entscheiden. Oder wie ich sage: Hast du zu wenig Gewicht, so hängt garantiert dein Gesicht!
Auch wenn forever faces hierzulande noch lange kein Standard sind, lässt sich ihre Faszination nicht leugnen. Gleichzeitig beobachtete ich schon seit einiger Zeit eine immer lauter werdende Revolte gegen das perfekte, durchtrainierte, faltenfreie Wesen. Es war nun en vogue , Frauen für ihre Kurven und Rundungen zu feiern. Herr im Himmel, selbst die Kollektionen der Herbst-/Wintermode 2010/11, die ganz wichtigen aus Mailand und Paris, feierten das Revival des Busens! Wow. (Das zeigt mal wieder, wie am Leben vorbei die Modewelt ist, was sie auch wieder interessant macht. Brüste sind eine biologische Tatsache, kein Trend. Als ob jemals eine Frau vor ihrem Schrank gestanden und sich gedacht hätte: »Nein, heute zieh’ ich das tolle Kleid mit dem Hammerausschnitt nicht an, denn Brüste sind out.«) Trotz alledem: Das Busen-Comeback passt genau in die heutige Zeit, die uns weismachen
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