You are Mine
aber nicht klar, nicht bis zu dem Punkt, wo es vorbei war, der plötzlichen Rückkehr von Geräuschen und Licht, als Ruth mir auf die Beine half und mit einem bösen Blick die Neugier der Umstehenden abwehrte. Nicht im Geringsten panisch stellte sie mir ruhige, klare Fragen: ob ich wüsste, was gerade passiert ist, ob ich mich daran erinnerte. Ja , versuchte ich es Ruth zu erklären, ja , und dieselbe Erklärung biete ich jetzt Kaye an: Ja, ich erinnere mich, aber es ist seltsam, mehr wie die Erinnerung an einen Film oder einen Traum. Die Erfahrung vermittelte mir ein gebrauchtes Gefühl, ich war mir bewusst, was passierte, während es passierte – ich hatte nur keine Möglichkeit, es zu kontrollieren.
Kaye schlägt sich den Stift leicht aufs Knie und fragt mich, ob ich mich je einer Hypnosetherapie unterzogen habe.
»Nein.« Die Frage alarmiert mich. »Warum?«
»Weil das, was du gerade beschrieben hast, sehr einer hypnotischen Trance ähnelt, so, wie sich manche Leute daran erinnern.«
Misstrauen gleitet mir in kalten Strahlen über den Nacken. »Könnte ich hypnotisiert worden sein, ohne es zu wissen, ohne mich daran zu erinnern? Könnte jemand dafür gesorgt haben , dass ich es vergesse?«
»Hollywood muss wirklich für eine Menge geradestehen.« Kaye lacht. Aber ihre Miene ist sanft, ihre Augen sind freundlich, auch wenn sie mich manchmal scharf mustert. »Das ist eine recht düstere Vermutung, findest du nicht? Wie wäre es, wenn wir uns für den Moment an Ockhams Rasiermesser halten.«
»Wessen Rasiermesser?«
»Ockhams. Es ist ein philosophisches Prinzip. Im Wesentlichen besagt es, dass die einfachste Erklärung gewöhnlich die richtige ist.«
»Selbst wenn die einfachste Erklärung lautet, dass ich den Verstand verliere?«
»Entspann dich. Niemand wird hier ein Urteil sprechen, Alex, wir sind hier nicht im Kuckucksnest.«
Trotz meiner Anspannung gelingt mir ein Lächeln. »Das hat Ruth gesagt, als sie vorgeschlagen hat, dass ich zu Ihnen komme.«
Ein leichtes Nicken, aber sonst geht Kaye nicht auf die Bemerkung ein, und in dem darauf folgenden Schweigen verstehe ich plötzlich vieles. Warum Ruth diese Visitenkarte in ihrer Tasche herumträgt, wie sie es geschafft hat, mir so schnell einen Termin zu verschaffen, obwohl eine solche Spezialistin wahrscheinlich eine ellenlange Warteliste hat. Es ist offensichtlich: Ruth ist eine von Kayes Patientinnen. Diese Erkenntnis verblüfft mich. Jemand, der so kontrolliert, so unabhängig, so stark und effizient ist wie Ruth geht zu einer Psychologin? Warum und wie lange schon? Seitdem ich sie kenne?
»Kommt Ruth zu Ihnen?«, frage ich.
Kaye schüttelt den Kopf. »Du solltest wissen, dass ich darauf nicht antworten kann, Alex. Ich kann nicht bestätigen, ob jemand einer meiner Patienten ist oder ob nicht.«
Neugier kocht in mir und macht es mir schwer, mich zu konzentrieren. Sitzt Ruth genau hier, in diesem Sessel, oder gehört sie zu den Couch-Leuten?
»Alex?« Kaye schnippt mit den Fingern. »Wir müssen uns jetzt auf dich konzentrieren.«
»Entschuldigung.«
»Die Trennung von deiner Freundin. Was ist wirklich passiert?«
»Die Sache wurde einfach zu intensiv«, erkläre ich ihr. »Sie wissen, wie so was läuft.«
»Nein«, antwortet Kaye. »Wie läuft es? Wie lief es zwischen dir und Madigan? Ich verstehe, dass es dir nicht leichtfällt, darüber zu reden, aber bitte versuch es. Es ist wichtig, dass du es versuchst.«
»Ja, es ist schwer.« Die Idee, solche intimen Details irgendwem zu erzählen und besonders einer Frau, die ich vor heute Morgen noch nie in meinem Leben gesehen habe, schmeckt mir zu sehr nach Verrat. Selbst jetzt noch.
»Okay, das verstehe ich.« Sie runzelt die Stirn und ihr Blick gleitet für einen Moment zu dem Notizbuch auf ihrem Schoß. »Wie wäre es, wenn wir es andersherum angehen? Warum warst du in erster Linie mit Madigan zusammen?«
»Weil ich sie geliebt habe.«
»Süß.« Ihre Hände bewegen sich in langsamen Kreisen und beschwören aus der leeren Luft Worte. »Sehr … romantisch, sehr … nobel. Aber nicht die ganze Geschichte.«
Nein. Also versuche ich, weiter auszuholen, erkläre, wie Madigan und ich quasi miteinander aufgewachsen sind und wie ich, selbst nachdem sie mir weggenommen worden war, nie das Gefühl hatte, sie wäre wirklich weg. Es fühlt sich immer noch nicht so an, noch nicht ganz, nicht nachdem an dem Tag in der Flinders Street alles so mühelos wieder zusammenkam, sich wieder zusammensetzte.
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