You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
konstruiert. Tatsächlich war es so, dass ich ins nächste Flugzeug stieg und zu meinen Brüdern reiste. Hazel blieb zu Hause, aber mich begleitete ein Motown-Mitarbeiter, um, wie es hieß, „Mr. Gordys Künstler und seine Interessen zu schützen“. Auf dem Flug konnte ich an nichts anderes denken als daran, dass Michael sich an Mr. Gordy gewandt hatte. Es war ein mutiger Schritt, und mir sagte das zweierlei: a) Joseph hatte keine Ahnung von dieser Aktion, und b) Michael wollte Mr. Gordy gleichzeitig wissen lassen, dass er seinerseits keinen Groll hegte und unserem Label-Chef noch immer Vertrauen und Respekt entgegenbrachte.
Meine Anspannung ließ nach, je näher wir Long Island kamen. Mir war egal, dass Joseph meinen Besuch vermutlich so interpretieren würde, dass ich wieder angekrochen käme. Mir ging es nur darum, mit meinen Brüdern zusammen zu sein. Zwar gab es keine großen Umarmungen, als ich am Nachmittag vor der Show im Hotel erschien, aber als Michael mich sah, zog ein breites Lächeln über sein Gesicht. Manche Gefühle muss man nicht in Worte fassen. Dann redeten wir. Er sagte mir, dass er sich nicht vorstellen könne, weiter ohne mich auf die Bühne zu gehen. Ich sagte ihm, dass ich nicht wisse, wie es mit mir ohne meine Brüder bei Motown weitergehen solle. Und während wir redeten, wurde uns schmerzlich die Wahrheit bewusst. Ich war entschlossen, an meiner Entscheidung festzuhalten, und er wiederum hatte sich resigniert einem Votum der Gruppe gebeugt. Ganz allmählich begannen wir, diese Situation zu akzeptieren, wobei wir beide nicht verstanden, wie wir eigentlich in diesen Entscheidungskampf hineingeraten waren.
Das allein war schwer zu verdauen. Ich weinte. Michael auch.
Joseph drängte sich zwischen uns und fragte mich, was ich nun zu tun gedächte. „Ich gehe nicht mit auf die Bühne“, sagte ich.
In diesem Augenblick begriff ich, dass mein Erscheinen sie alle fälschlicherweise hatte denken lassen, ich sei für den Auftritt gekommen. Bis zum Showbeginn war noch ungefähr eine Stunde Zeit, und Joseph tobte. Meine anderen Brüder behaupteten, ich sei unfair. Ich hätte so gern nachgegeben, mich in mein Showkostüm geworfen und mir den nächstbesten Bass umgehängt, aber mein Instinkt war stärker und hielt mich davon ab. An viel mehr erinnere ich mich nicht, außer, dass ich dastand und zusah, wie sie in einer Luftblase davongingen, die mich nicht länger umschloss. Als er den Hotelflur hinunterschritt, sah sich Michael noch einmal um, und die Traurigkeit auf seinem Gesicht war beinahe unerträglich. Josephs finstere Miene sagte alles: „Du bist nicht auf unserer Seite. Deine Entscheidung.“
Ich fühlte mich schuldig, ich fühlte mich, als hätte ich alle im Stich gelassen, aber wenn ich mit ihnen auf die Bühne gegangen wäre, hätten wir die Fans hinters Licht geführt. Meine Brüder holten sich den Bassisten des Orchesters mit dazu, damit die Zahl stimmte, und der Westbury Music Fair fand ohne mich statt. Ich blieb im Hotel und schlief in einem Einzelzimmer – zum ersten Mal, seit ich als Dreijähriger im Krankenhaus gelegen hatte, verbrachte ich eine Nacht ganz allein. Vielleicht tat es deswegen so weh.
Am nächsten Morgen kam ich bei CBS Records in Manhattan mit den anderen wieder zusammen. Joseph war vermutlich mit der Hoffnung aufgewacht, dass ich im Lichte des neuen Tages, wenn ich seinen Plan in all seiner Großartigkeit vorgeführt bekäme, doch noch zu Verstand kommen würde. Aber ich war nur neugierig auf das, was sie zu sagen hatten; ich wollte ein paar Insider-Informationen sammeln. Heute erinnere ich mich nur noch daran, wie ich in einem Büro saß und ein Vertretertyp aus der A&R-Abteilung, dessen Kleidung mindestens so weiß war wie seine Zähne, mit großen Worten verkündete, was er alles für uns tun wolle. Und dann kam er wieder, der altbekannte Satz: „Wir werden euch so groß rausbringen wie die Beatles!“
Ich sah Joseph an. Und dann meine Brüder. Es kam gar nichts. Also sprach ich es an ihrer Stelle aus: „Aber wir sind die Jackson 5. Wir haben die Beatles schon von Platz 1 verdrängt.“ Alle Gesichter wandten sich mir zu. „Zweimal“, setzte ich hinzu.
Der A&R-Mann ließ sich davon nicht ablenken. Er steuerte geschickt um das Hindernis, das er sich selbst in den Weg gelegt hatte, und blies uns so viel Zucker in den Hintern, dass er uns aus dem Mund wieder herauskam. Anschließend lud er uns ein, noch ein paar Leute zu treffen, aber ich machte mir
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