You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Leute über andere erzählten, und auch, wenn sie ihm gegenüber unhöflich wurden. Dass Michael ein Star war, der von seinen Fans verehrt wurde, erkannten nicht alle Menschen an. Bei einer Gelegenheit bekam ich mit, dass Michael am Telefon von jemandem, den er sehr respektierte, wirklich unverschämt niedergemacht wurde. Er nahm den Hörer vom Ohr, hielt ihn hoch und sagte zu mir: „Hör dir das an. So reden die Leute mit mir. Kannst du dir das vorstellen?“
Ich glaube, Michael wurde oft unterschätzt. Man sah ihn zwar vielfach als Musikgenie, erkannte aber auch, dass er leicht zu beeinflussen war und Streit verabscheute. Das wurde ihm wohl eher als Schwäche denn als Freundlichkeit ausgelegt. Ich fand es immer spannend, wenn Leute ihn zum ersten Mal trafen: Oft mussten sie feststellen, dass sich ihre Vorurteile nicht bestätigten, und waren dann sehr beeindruckt von ihm. Zwar konnte er richtig albern sein, war aber andererseits auch sehr bodenständig und wusste auf den verschiedensten Gebieten ausgesprochen gut Bescheid; mit seinem Intellekt und seiner Kreativität war er ein hervorragender Querdenker, der stets mit ungewöhnlichen Ideen aufwartete.
Heute muss ich lächeln, wenn ich daran denke, was er alles aufnahm, denn beinahe scheint es, als ob er seine eigenen Privatgespräche belauschte, und das erinnert mich wieder daran, wie neugierig er war. Als Hazel und ich von Bel Air in ein neues Haus in Brentwood gezogen waren, besuchte Michael uns dort, und aus irgendeinem Grund war ich auf der Suche nach einer Taschenlampe, konnte sie aber nicht finden.
„Die liegt in der obersten Schublade deines Nachtschranks“, erklärte Michael.
„Hast du wieder mal rumgeschnüffelt?“, fragte ich grinsend.
Schon immer hatte er es geliebt, in den Sachen anderer Leute zu stöbern. Er war der Meinung, dass es eine Menge über einen Menschen verriet, wenn man sich betrachtete, was er wo aufbewahrte und welche Ordnung er hielt. Schon ganz früher, wenn wir unsere Großmutter Mama Martha in East Chicago besuchten, hatte er dort jede Schublade aufgezogen und in ihren Erinnerungsstücken herumgekramt. „Lass das, Michael, sei nicht so neugierig!“, schimpfte Mama Martha dann. „Das gehört sich nicht, die Sachen anderer Leute zu durchwühlen!“ Aber das kümmerte ihn nicht.
Als wir zum ersten Mal bei Sammy Davis Junior eingeladen waren und ihn in seinem wundervollen Haus am Summit Drive in Beverly Hills besuchten, fürchtete ich daher, dass Michael sich auch dort nicht werde beherrschen können. „Michael, du gehst bei ihm nicht als Erstes durch die Schränke, hast du gehört!“ Aber er grinste mich nur an und sagte nichts dazu.
Besuche bei Sammy machten stets enorm viel Spaß. Er, Michael und ich guckten gern zusammen Filme: Sammy ließ die Rollläden herunter, um die kalifornische Sonne auszusperren, drückte auf einen Knopf, und dann entrollte sich eine große Projektorleinwand. Besonders gern guckte Michael mit ihm The Little Colonel, einen Film mit Shirley Temple. Aber Sammy fand es meist noch besser, wenn wir ihn nach seinen Cowboy-Filmen fragten. Michael forderte ihn einmal zu einem Scheinduell heraus, das die beiden mit nachgemachten Revolvern führten – Sammy hatte einige seiner Requisiten aus Hollywood behalten. Sie schoben den bühnengroßen Couchtisch im Wohnzimmer beiseite und stellten sich Rücken an Rücken auf. Sammys Ehefrau Altovise und ich durften nur zusehen, als Sammy mit dramatischem Gang auf die eine Wand zuging, und Michael mit todernstem Gesicht auf die andere.
Dann rief jemand: „Zieht!“
„Peng! Peng!“, rief Sammy. Wie der Blitz war er auf den Absätzen herumgewirbelt, hatte seinen Revolver gezogen und „gefeuert“, während Michael erst noch nach seinem Halfter griff.
Michael war als Tänzer sicher unschlagbar, aber Sammy grinste ihn breit an: „Ich ziehe immer noch schneller als jeder andere im Westen!“
Zu dieser Geschichte gibt es noch eine hübsche Fußnote: Irgendwann um die Jahrtausendwende hatte Michael das Glück, Shirley Temple zu Hause in San Francisco besuchen zu dürfen. Ich glaube, er fühlte sich immer zu anderen Kinderstars hingezogen – er hatte Sammy treffen wollen, Shirley, Elizabeth Taylor, Spanky McFarland und später auch Macauley Culkin; er ging vermutlich davon aus, dass sie Ähnliches erlebt hatten wie er und sie sich automatisch verstehen würden.
Was ihn und Shirley wirklich verband, darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Den einzigen
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