You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
einem Filmset eingesetzt zu werden. Das Schießen machte Spaß, war harmlos und wichtig für die Geschichte. Doch kein Zeuge Jehovas darf eine Waffe besitzen oder sie in Händen halten, geschweige denn sie einsetzen. Die offizielle Stellungnahme des Königreichsaales fiel dementsprechend harsch aus. Michael solle sich überlegen, wo seine Prioritäten lägen – bei den Zeugen Jehovas oder in der Kunst. Das Schreiben löste bei meinem Bruder Verzweiflung aus, denn es implizierte die Notwendigkeit einer eindeutigen Entscheidung. Letztendlich brachte es das Fass zum Überlaufen. Die Kirche verlangte von Michael, das ihm von Gott geschenkte Talent in Frage zu stellen! Mein Bruder hatte sich stets wie der „perfekte Schüler“ verhalten, ging in Encino von Tür zu Tür und missionierte, doch das schien überhaupt nichts zu bedeuten, wenn seine Kreativität gegen die Regeln der Zeugen Jehovas verstieß.
In derselben Woche, also noch bevor „Smooth Criminal“ uraufgeführt wurde, schrieb Michael einen Brief an den Königreichsaal, in dem er seinen Austritt bekanntgab und darum bat, nicht mehr als getaufter Zeuge Jehovas angesehen zu werden. Ich weiß, dass es ihm das Herz brach, denn er hatte viele Jahre eine starke Beziehung zu ihnen aufgebaut, doch jetzt wurde ihm das Gefühl vermittelt, in einer ausweglosen Lage zu stecken. Auch für Mutter bedeutete das einen herben Schlag, doch sie äußerte sich unmissverständlich – Michael war ihr Sohn, und sie unterstützte seine Entscheidung, denn sie verstand das dringende Bedürfnis nach künstlerischer Freiheit. Die Angelegenheit kam nie wieder zur Diskussion. Und die Zeugen Jehovas reden nicht mehr mit Menschen, die ausgetreten sind oder ausgestoßen wurden. Dieses Arrangement schien beiden Seiten zu genügen.
Während seines ganzen Lebens behielt Michael seinen Sinn für Humor. Ich schätze, dass jeder, der eine gewisse Zeit mit ihm verbrachte, seinen Spaß am Versteckspielen bestätigen wird und sein Bedürfnis, der größte Scherzbold zu sein – und das auch noch mit über 40 Jahren. Bill Bray wurde regelmäßig zu einem Opfer seiner Späße, und auch sein neuer Manager Frank Dileo blieb nicht verschont. Manchmal warf Michael für die Fans ein Bündel 100-Dollar-Scheine aus dem Fenster des Hotelzimmers. Gelegentlich legte er ein Bündel Dollarnoten in die Badewanne und ließ die Hähne laufen. Doch nichts hätte Frank mehr treffen können, als wenn man eine seiner geliebten großen Zigarren nass gemacht hätte.
Erneut auf Tour zu sein, bedeutete, wieder zu den eigenen Wurzeln zu finden. Wir hatten viel Spaß, infantilen Spaß, aber immerhin Spaß! Michael, Marlon und ich warfen Wasserbomben hoch oben aus Hotelfenstern auf die Tische modisch gekleideter Geschäftsleute, die gerade ihren Lunch unter freien Himmel zu sich nahmen. Wir wussten natürlich, dass der Ballon in der Luft platzte und das Wasser als „Nieselregen“ auf die Anzugträger prasselte. Doch wir machten uns auch gegenseitig nass, und zwar im Duell mit Wasserpistolen – oder legten Eier in die Schuhe der anderen. Michael hielt sogar einmal eine Klopapierrolle vom Balkon und ließ sie abrollen. Die Langeweile einer Tour wurde mit zunehmendem Alter nicht erträglicher, und so verbrachten wir viel Zeit damit, herumzualbern und für unsere eigene Unterhaltung zu sorgen, wobei wir ohne Zweifel den Ruf der „Gruppe mit den besten Manieren“ in der Musikgeschichte verteidigten. Im Vergleich zu uns wirkten die Osmonds wie kleine Teufel.
Die Schlachten beim Catering nach den Konzerten machten am meisten Spaß. Michael stand mit ernster Miene und mir zugekehrtem Rücken da und unterhielt sich mit Frank Dileo oder einem anderen Mitglied der Tour. Ich betrachtete das zunächst in aller Seelenruhe. Dann aber bombardierte ich sie plötzlich mit einer Handvoll Erdnüssen oder Mandeln. Man konnte die unschuldigen Zuschauer solcher Attacken – die das vorher noch nie erlebt hatten – immer daran erkennen, dass sie die Hände vors Gesicht schlugen und uns maßregelten. Verantwortungsvolle „Eltern“, von ihren „Kids“ bombardiert. Michael platzte fast vor Lachen: „Jermaine! Das zahle ich dir heim“, rief er. Bevor man sich versah, waren alle Brüder in die Kampfhandlungen verstrickt und feuerten Salve um Salve M&Ms ab. Wenn die Unbeteiligten dann flüchteten, präsentierten wir ihnen als Abschiedsgeschenk Bananenschalen, Shrimps, Beeren und Kuchen, womit wir unsere Lieblingsszenen aus Die drei Stooges
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