You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Sicht der Dinge teilte er seinen Freunden mit, wenn sich das Gespräch um die Finanzen drehte. Er war sich sicher, dass er nach dem Bruch mit Sony der bedeutendste unabhängige Künstler der USA sein würde. Und Michael dachte überhaupt nicht daran, sein bestes Pferd im Stall abzutreten.
Auch wollte er nicht untätig herumsitzen. Getrieben von dem Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, mietete er in London Doppeldecker, auf deren Aussichtsplattform Fans mit Schildern standen, die zum Boykott Sonys aufriefen: „SONY KILLS MUSIC.“ Dieses Verhalten verriet mir, wie wütend Michael sein musste. Es bedeutete viel, wenn ein Mann, der seine Emotionen kontrollieren konnte und großen Wert auf Diskretion legte, sich einen „Kampfbus“ mietete, auf dem die „Soldaten“ demonstrativ Schilder hochhalten. Michael war wütend und fühlte sich hintergangen. Ich hätte am liebsten einen Freudensprung gemacht, denn endlich hatte er seine Stimme gefunden und stellte sich der Auseinandersetzung. Auch schätzte ich den Willen und die Kraft, sich gegen den starken Arm der Industrie aufzulehnen und sich nicht geschlagen zu geben.
Trotz der miserablen Promotion kam Invincible auf den ersten Platz der Charts in den USA und in Großbritannien, doch Michael tobte wegen der insgesamt schlechten Verkaufszahlen. 13 Millionen Alben weltweit entsprachen nicht der Mühe, dem Blut und dem Schweiß, die er in die Produktion gesteckt hatte.
Angeblich wollte mein Bruder wegen der verhältnismäßig mageren Verkaufszahlen mit Invincible nicht auf Tour gehen, doch das stimmt nicht. Eine Tour zum Album wurde geplant. Michael wollte im Frühjahr 2002 wieder in den Stadien auftreten – national und international. Doch dann ereilten die Geschehnisse des 11. September die Welt, und auf Michaels Wunsch hin wurden die Aktivitäten eingestellt. Ich weiß, dass dieses Verhalten zu einem Telefongespräch mit Tommy Mottola führte, in dem die beiden sich endgültig zerstritten. Michael warf Tommy vor, das Album nicht genügend zu bewerben, und Tommy beklagte sich bei Michael darüber, nicht auf Tour zu gehen, um das Album zu bewerben! Ich verstand das Argument von Sony nicht, denn Michael gehörte zu einer Vielzahl von Künstlern, darunter auch unsere Schwester Janet, die in diesem Jahr ihre Tourneen absagten. Niemand wollte angsterfüllt auf Reisen gehen. Wenn amerikanische Ziele anvisiert wurden – und es den Terroristen sogar gelungen war, die Twin Towers zu zerstören –, dann konnte ein Stadium voller Fans des größten amerikanischen Entertainers schnell zum Ziel werden. Michael wollte weder seine Fans noch seine Mitarbeiter dieser Gefahr aussetzen. Hier offenbarte sich ganz einfach sein gesunder Menschenverstand.
Da mein Bruder sein Tour-Vorhaben im September aufgab, zog Sony im Oktober die Notbremse und fuhr seine Promotion auf ein Minimum zurück – zumindest glaube ich das. Ich erklärte Michael wiederholt, dass die Firma 24 Millionen Dollar in die Platte investiert habe und einen Künstler brauche, der zur Promotion bereit sei. An einem gewissen Punkt wollte Michael dann die verfahrene Situation mit Tommy durch einen Schachzug retten. Er lud dessen Frau Thalia ein, um mit ihr die spanische Fassung von „What More Can I Give?“ zu singen. Ich weiß nicht, ob man die Version in Südamerika veröffentlichte, doch wenn Michael sich dadurch eine bessere Promotion erhofft hatte, wurde er enttäuscht. Wenn sich der 11. September niemals ereignet hätte, hätte mein Bruder die Welttournee durchgezogen, die bis ins Jahr 2004 hinein geplant gewesen war.
Seit 2009 gab es zahlreiche Debatten und Missverständnisse über die Einstellung meines Bruders zu Konzerten. Er machte niemals ein Geheimnis daraus, dass er das Tour-Leben nicht besonders mochte, denn die unmittelbaren Begleitumstände – Angstzustände, Schlaflosigkeit, Dehydrierung – machten ihm schwer zu schaffen. Seine Schlaflosigkeit war der Fluch der Live-Shows, die seinen Körper mit Adrenalin vollpumpten. Andere Künstler blühen beim Touren regelrecht auf, doch Michael litt ständig darunter. Darum begleitete ihn auf den meisten Tourneen ein qualifizierter Anästhesist. Das hatte überhaupt nichts mit der Medikamentenabhängigkeit zu tun, sondern nur etwas mit dem verzweifelten Bedürfnis, auf einer Tournee schlafen zu können: Michael musste regelrecht betäubt werden, um Schlaf zu finden. Mit einem Spezialisten an seiner Seite stellte er sicher, dass die Einnahme von
Weitere Kostenlose Bücher