You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
aufrechten Körperhaltung, der ordentlichen, biederen Kleidung und der knappen, perfekten Aussprache, aber sie war eine ungeheuer warmherzige Frau, die wir sehr ins Herz schlossen. Wohin wir auch reisten, Rose war immer in der Nähe, um uns etwas beizubringen; in ihrer Korrektheit bot sie stets einen seltsamen Kontrast zum Jacksonmania-Wahnsinn, wenn sie hinter uns her trottete und versuchte, nicht den Anschluss zu verlieren.
Es war ihr ein wichtiges Anliegen, dass wir uns manierlich aufführten, und sie versuchte stets, unsere Ausdrucksweise zu verbessern. „Ihr singt so wunderschön, da könnt ihr auch lernen, schön zu sprechen“, sagte sie. Ihre fünf Jungs sollten, wenn sie im Scheinwerferlicht standen, in der Lage sein, „gutes Englisch“ zu sprechen. Wenn wir umgangssprachlich Worte zusammenzogen, korrigierte sie uns sofort. „Es heißt nicht: ‚We ain’t gonna do that‘, sondern: ‚We are not going to do it‘“, erklärte sie. „Jetzt wiederholt das noch einmal. We – are – not – going – to – do – it.“
„Aber so reden wir doch nun mal, Rose!“, protestierte Michael. „Wir müssen doch wir selbst sein!“
Rose indes stellte sich immer wieder diesem aussichtslosen Kampf.
Wenn wir abends in unserem Hotelzimmer lagen, sprachen Michael und ich darüber, dass kein Schwarzer, der auch nur ein bisschen angesagt war, sich so korrekt ausdrückte.
„Rose hat keine Ahnung, was coooool ist.“ Michael lachte.
Zwar zogen wir Rose gern auf, und wahrscheinlich übertrieben wir unseren Slang noch, wenn sie in der Nähe war, aber trotzdem waren wir überzeugt, dass sie einer der wichtigsten Menschen in unserem Umfeld war, mächtiger noch als Mr. Gordy. Ihre Macht gründete sich auf ihrer Verbindung zur Schulbehörde. Wenn jemand von uns auf der Bühne gähnte oder auch nur so aussah, als ob er eine Pause brauchte, oder wenn die Interviews sich so lang hinzogen, dass nicht mehr genug Zeit für die täglichen vier Stunden Unterricht blieb, dann konnte sie uns schneller aus dem Verkehr ziehen als jeder Brandschutzbeauftragte. Allerdings nutzte sie diese Macht niemals aus, und gerade deshalb wurde sie von allen sofort respektiert, auch seitens unseres Labels.
Wir wussten zu würdigen, welche Rolle sie in unserem Leben spielte, und ihr positiver Einfluss auf Michael ist nicht zu unterschätzen. Wenn wir sie zu Hause in Studio City absetzten, lud sie uns oft noch ein, mit hineinzukommen, und ihr Ehemann Sid nutzte solche Gelegenheit gern, um ein Lied vorzuspielen. Meist waren es alte Sachen aus den Vierzigern, Songs von den Ink Spots oder den Mills Brothers, aber wir klatschten trotzdem höflich. Ihre Bibliothek machte aus Michael eine echte Leseratte. Rose überreichte uns Bücher stets, als seien sie kostbare Kunstwerke, und sie drängte uns immer dazu, so viel wie möglich zu lesen. Michael tat das auch. Nur wenige wissen, dass mein Bruder ein echter Bücherwurm war, der sich mit irgendwelchen abseitigen Themen beschäftigte, um sein Vokabular zu verbessern oder sein Wissen von der Welt zu vergrößern. „Ich lese wahnsinnig gern. Man kann eine wunderbare Welt durch Bücher entdecken“, sagte er. Zuerst beschäftigte er sich mit Büchern über Fred Astaire, Elvis oder Kinderstars wie Shirley Temple oder Sammy Davis Junior. Später las er Biografien über alle möglichen anderen Persönlichkeiten, von Steven Spielberg bis zu Alfred Hitchcock, von Präsident Reagan bis zu Präsident Roosevelt, von Malcolm X bis zu Dr. Martin Luther King, von Mussolini bis zu Hitler. Er besaß eine große Allgemeinbildung, auch wenn das wohl kaum jemand vermutete. Außer Rose. Sie brachte uns bei, dass man von den Besten lernen kann, wenn man sich mit der Geschichte beschäftigt, denn die Menschen vor uns haben Spuren hinterlassen, denen wir folgen können. Deswegen beginnt Michaels Autobiografie Moonwalk mit einem Zitat von Thomas Edison:
Wenn ich etwas erfinden will, lese ich alles, was über dieses Thema bereits geschrieben wurde – dafür sind all die Bücher in der Bibliothek ja da. Ich sehe, was unter großen Mühen und Kosten in der Vergangenheit erreicht wurde. Ich nehme die Ergebnisse von vielen tausend Experimenten als Ausgangspunkt und führe dann tausend weitere durch. Die drei Grundbedingungen für den Erfolg sind erstens harte Arbeit; zweitens Hartnäckigkeit; drittens gesunder Menschenverstand.
Das Zitat spiegelt auch heute noch perfekt Michaels Herangehensweise wider; er ließ diese Worte in
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