Young Sherlock Holmes 2
Berge zu. Wenn es sich wirklich da befand, wo er vermutete, musste er von irgendwo da oben einen guten Blick auf das Lager haben.
Einige Stunden ging es auf sanft ansteigenden Abhängen und über Fels- und Geröllstreifen immer höher hinauf, ehe sein Pferd um einen steileren Berggrat herumkam und Sherlock unversehens auf das hinabblickte, wonach er gesucht hatte.
Er ließ sein Pferd etwas weiter hinten zurück und schlich auf allen Vieren vorwärts, bis er, flach auf den Boden gepresst, im Schutz eines großen Felsens auf die Ebene vor sich hinabblickte.
Die Sonne näherte sich mittlerweile dem Horizont, und die Szenerie unter ihm wurde teils von den tiefroten Sonnenstrahlen, teils von den verstreuten Lagerfeuern beschienen. In diesem Zwielicht bot sich Sherlock ein guter Blick auf das Lager des Ingenieurskorps: In der Mitte waren Zelte aufgeschlagen, und auf der freien Fläche darum herum eilten wohl an die hundert Mann geschäftig hin und her. Auf der einen Seite des Lagers waren die Pferde in einer provisorisch gezimmerten Einfriedung eingepfercht, während sich auf der gegenüberliegenden Seite die Ballone befanden.
Bei dem Anblick der Fluggeräte verschlug es Sherlock den Atem. Auf einer rugbyfeldgroßen Fläche waren etwa zehn bis zwölf dieser monströsen Dinger verteilt. Einige davon erinnerten ihn an riesige Versionen von schlabberigen Quallen, die er als Kind bei Ausflügen ans Meer gesehen hatte, andere hingegen waren bereits vollständig zu prallen Kugeln aufgeblasen worden, die im schwindenden Licht der Sonne glühten. Seile und Stoffbahnen aus dem gleichen Material wie die Ballonhülle – lackierte Seide, wie Sherlock von seinem Gespräch mit Graf von Zeppelin auf der
SS Scotia
noch wusste – verbanden die Ballone mit den Körben darunter. Gefüllt wurden die Ballone mit Hilfe von Rohren, die von den Ballonhüllen weg zu Karren führten, auf denen sich schimmernde Kupfertanks befanden. Aus einer Mischung aus Eisenspänen und Schwefelsäure wurde, wie Sherlock wieder einfiel, Wasserstoff in den Tanks produziert.
Die Erinnerung an Graf Zeppelin veranlasste Sherlock, das Lager nach der geraden, aufrechten Gestalt des Deutschen abzusuchen. Schließlich hatte dieser den ganzen weiten Weg nach Amerika auf sich genommen, um sich über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der militärischen Nutzung von Ballonen zu informieren, und da wäre es eher ungewöhnlich, wenn er sich
nicht
dort unten befinden würde.
Die sich im Lager bewegenden Gestalten waren zu klein, um einzelne Gesichtszüge auszumachen. Aber Sherlock bildete sich ein, in der Nähe der Ballone einen bärtigen Mann zu erkennen, der eine andere Uniform trug und anscheinend fasziniert beobachtete, wie die Ballonhüllen mit Wasserstoff gefüllt wurden.
Die Lagerfeuer waren in weitem Abstand von den Ballonen errichtet, was natürlich eine gute Idee war, denn Wasserstoff war extrem leicht entflammbar, wie Sherlock noch aus der Schule wusste. Andererseits hatte man offenbar keinerlei Bedenken, in nicht allzu großer Entfernung zu den Ballonen Hunderte von runden Metallkörpern aufzustapeln, die wie Kanonenkugeln aussahen, jedoch höchstwahrscheinlich Bomben waren. Wenn der Wind in ein oder zwei Stunden immer noch aus der richtigen Richtung wehte, würde man die Ballone jeweils mit einem eigenen Luftschiffer an Bord aufsteigen lassen. Anschließend würden sie lautlos auf die Stelle zuschweben, wo Duke Balthassars Armee ihr Lager aufgeschlagen hatte. Und dann bräche über die Menschen dort Tod und Schrecken in einem Ausmaß herein, dass Sherlock beim bloßen Gedanken daran ganz übel wurde.
Er musste sie aufhalten. Er
musste
es einfach. Er hatte schon zu viele Leute in seinem Leben sterben sehen. Wenn er den Tod von weiteren Menschen verhindern konnte, dann würde er das auch tun.
Wasserstoff. Entflammbar. Darin lag womöglich die Lösung. Aber wie würde er konkret etwas damit anfangen können? Wenn er versuchte, sich herunterzuschleichen und die Ballone in Brand zu setzen, würde man ihn schnappen und vermutlich als Spion der Konföderierten erschießen. Schließlich hatte man um die Ballone einen Kreis von Soldaten als Wachen postiert.
Aber auf der anderen Seite des Lagers, bei den Lagerfeuern, befanden sich keine Wachen. Und vor den meisten Zelten waren Pfähle in den Boden gerammt, an denen Öllaternen hingen.
Seine Gedanken rasten, als er nun fieberhaft Gegenstände miteinander in Bezug brachte, die er zuvor als isolierte Dinge
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