Young Sherlock Holmes 2
hatten.
»Hier sind Ihre Tickets und Reisedokumente«, sagte Mycroft und händigte Amyus Crowe ein Bündel Papiere aus. »Sie sind für die
SS Scotia
gebucht. Das ist das Schiff dort drüben. Es gehört zur Cunard Line. Ist ein feines britisches Schiff. Natürlich reisen Sie in der ersten Klasse. Ich würde Sie niemals den Unannehmlichkeiten des Zwischendecks aussetzen – nicht mit Ihrer Tochter und meinem Bruder in Ihrer Obhut.«
Sherlock sah in die Richtung, in die Mycrofts Hand gedeutet hatte, und erblickte ein riesiges Schiff, das so lang wie ein ganzes Rugbyfeld zu sein schien. An der Seite war ein gigantisches Schaufelrad angebracht, das höchstwahrscheinlich noch ein Pendant auf der gegenüberliegenden Seite hatte. Das Schiff verfügte außerdem über zwei Masten mit Segeln, die im Moment jedoch eingerollt in der Takelage verzurrt waren. Sherlock nahm an, dass die Schaufelräder von Dampfmaschinen im Inneren des riesigen Schiffsrumpfes angetrieben wurden, und die beiden Schornsteine, die aus dem Deck ragten, dienten wohl dazu, den Dampf der Maschinen nach draußen zu befördern. Die Segel würden nur bei ausreichend Wind verwendet werden, während die dampfgetriebenen Schaufelräder das Schiff bei Flaute voranbrachten.
Sherlocks logisch arbeitender Verstand verfolgte den Gedanken konsequent weiter. Wenn die Schaufelräder von Dampf angetrieben wurden, musste der Dampf für die Maschine mit Kohle erzeugt werden. Was bedeutete, dass das Schiff ausreichend Kohlevorräte an Bord haben musste, denn mitten auf dem Atlantik konnte ja unmöglich mehr Kohle aufgenommen werden. Für das Gewicht der vielen Kohle würde noch einmal zusätzlicher Brennstoff benötigt werden, nur um den eigentlichen Kohlevorrat zu bewegen. Wie aber bekam man nun heraus, wie viel Kohle für die Reise benötigt wurde, wenn man für jede hinzugefügte Tonne Kohle nochmals eine gewisse Menge dazunehmen musste, nur um diese Tonne überhaupt von der Stelle zu bewegen? Und im Wissen, dass, je mehr von dieser Tonne verbraucht wurde, immer weniger Kohle benötigt wurde, um sie fortzubewegen. Dahinter verbarg sich eine komplizierte mathematische Berechnung. Eine, die sein Verstand noch nicht ganz zu erfassen vermochte und die ihn auf merkwürdige Art und Weise an das Beispiel mit der im Laufe der Zeit variierenden Anzahl von Füchsen und Hasen erinnerte, das Amyus Crowe ihm vor ein paar Wochen erklärt hatte. War etwa alles in der Welt letztendlich mit mathematischen Formeln zu erklären?
»So dankbar ich Ihnen auch für Ihre Hilfe bin, Mr Holmes«, brachte Amyus Crowe auf eine für ihn merkwürdig schüchterne Art hervor, »aber ich bin kein reicher Mann. Und wir haben noch gar nicht über das Finanzielle gesprochen.«
»Nicht nötig«, erwiderte Mycroft und hob abwehrend eine Hand, offensichtlich peinlich berührt über die sich anbahnende Diskussion.
»Die britische Regierung ist für die Tickets aufgekommen. Irgendwann in der nächsten Woche oder so werde ich mich mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten treffen und anregen, dass er sich an den Kosten beteiligt, die die britische Regierung aufbringt, um Ihre Nation bei der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten zu unterstützen. Aber seien Sie für den Moment versichert, dass wir Sie bei Ihrer Ankunft in New York nicht mittellos dastehen lassen werden. Ich vermute, dass Sie dort darüber hinaus auch Zugang zu finanziellen Mitteln haben?«
Amyus Crowe nickte. »Trotzdem, meinen Dank, Mr Holmes.«
Sherlock blickte zu Virginia, die neben Amyus Crowe stand und ziemlich nervös aussah. Ihr Gesicht war kreidebleich.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Sherlock und ging zu ihr hinüber, während sich sein Bruder und ihr Vater weiter miteinander unterhielten.
Sie nickte. »Ich will nicht darüber reden«, sagte sie nur.
»Ich dachte, du würdest dich freuen, wieder nach Hause zu kommen.«
Sie fixierte ihn mit einem Blick, mit dem man durch Glas hätte schneiden können. »Welchen Teil von ›Ich will nicht darüber reden‹ hast du eigentlich nicht mitbekommen?«
Beschwichtigend hob Sherlock eine Hand und wich schleunigst zurück, als hätte er es mit einem gefährlichen wilden Tier zu tun. Wieder einmal musste er feststellen, dass Virginia wohl die komplizierteste Person war, der er jemals begegnet war.
»Was gibt es Neues von der
Great Western
?«, fragte in dem Moment Crowe an Mycroft gerichtet.
»Heute Morgen hat sie von einem Pier hier in der Nähe mit Kurs auf New York
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