Young Sherlock Holmes 3

sein, das die mehrmalige Einnahme eines Frühstücks während eines Vormittages verbietet, so bin ich mir dessen absolut nicht bewusst«, verkündete er. »In Wirklichkeit verdient mein letztes Frühstück kaum diese Bezeichnung. Der Toast war feucht, der Speck alles andere als kross und die Blutwurst zu knusprig. Von der Marmelade will ich gar nicht erst reden. Kaum bin ich einmal einen Tag nicht im Club, und schon geht da alles den Bach runter. Alles, was diese Mahlzeit bewirkt hat, ist, meinen Appetit auf ein richtiges Frühstück zu entfachen. Was, wie ich hoffe, hier zu bekommen ist.«
    Crowe blickte zum Kellner hinüber und bedeutete ihm, eine weitere Frühstücksplatte samt einem Kännchen Tee zu bringen. Mycroft folgte Crowes Blick und musterte den Kellner einen Moment lang. »Aus Norwegen?«, fragte er Crowe.
    »Finnland«, antwortete Crowe.
    »Ja, natürlich.« Mycroft schüttelte den Kopf. »Die kurze Haftzeit hat mein logisches Denkvermögen offenbar etwas durcheinandergebracht.«
    Crowe richtete den Blick auf Sherlock. »Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich sonst nichts über ihn sagen kann«, begann er. »Aber das war auch gelogen. Seine Familie kommt aus Finnland – das kann man am Haarschnitt erkennen.«
    »Warum schon wieder eine Lüge?«, beschwerte sich Sherlock.
    »Es gehört zu den seltsamen Tatsachen des Lebens«, erwiderte Crowe, »dass, wenn ein Engländer einen Landsmann einmal – oder sogar auch zwei- oder dreimal – beim Lügen ertappt, er davon ausgeht, dass dieser danach die Wahrheit sagt. Hat vermutlich etwas mit deplatziertem britischen Sinn für Fairplay zu tun. In Wirklichkeit jedoch wird jemand, der einmal gelogen hat, dies mit großer Wahrscheinlichkeit immer wieder tun.«
    Mycroft richtete den Blick auf Sherlock. »Wie ich gehört habe, gab es da so eine Art Unannehmlichkeit«, sagte er. »Eine, die etwas mit einem Raubvogel zu tun hatte. Bist du in Ordnung?«
    »Mir geht’s gut. Was ist mit dir?«
    Mycroft zuckte die Achseln. »Zumindest kann ich jetzt behaupten, dass ich gesehen habe, wie die andere Hälfte der Bevölkerung so lebt. Auch wenn ich die Erfahrung nicht gerade als erbaulich empfunden habe. Mein Anwalt geht davon aus, es hinzubekommen, dass die Anklage noch heute Nachmittag zurückgezogen wird.«
    »Irgendeine Idee, warum eigentlich ausgerechnet Sie zur Zielscheibe geworden sind?«, fragte Crowe.
    »Da gibt es verhältnismäßig wenige Möglichkeiten«, antwortete Mycroft. »Es wäre denkbar, dass sich jemand wegen irgendetwas an mir rächen wollte. Aber ich kann mir nicht vorstellen, um wen oder was es sich da handeln sollte. Die wahrscheinlichere Möglichkeit ist, dass jemand meine Aufmerksamkeit von irgendwelchen bevorstehenden Ereignissen ablenken wollte. Oder von etwas, das über meinen Tisch geht und mich zum Handeln bewegen würde.« Er blickte zu Sherlock hinüber. »Du weißt, dass ich für das Außenministerium arbeite. Die Regierung verfügt über viele Spezialisten auf den unterschiedlichsten Gebieten. Doch ich betrachte mich als Generalist. Fakten und Spekulationen aller Art gehen über meinen Schreibtisch, und ich halte nach Mustern Ausschau – nach Verbindungen zwischen scheinbar völlig verschiedenen Dingen. Solche Verbindungen sind häufig Entscheidungsgrundlagen der Außenpolitik.«
    »Ist Ihnen irgendetwas von Besonderheit aufgefallen?«, fragte Crowe.
    »Außerhalb von Whitehall sollte ich wirklich nicht über Regierungsgeschäfte reden«, murmelte Mycroft. »Ah, da ist ja mein Frühstück.«
    Der Kellner platzierte die Platte vor Mycroft und lüftete die metallene Servierhaube. Auf Mycrofts Gesicht erstrahlte ein Lächeln, als er die Anordnung der vor ihm ausgebreiteten Speisen begutachtete. »Prächtig«, sagte er. »Ein perfektes Arrangement und perfekt zubereitet. Mein Kompliment an den Koch.« Als der Kellner sich entfernte, fuhr er fort. »Ja, wie ich schon sagte, ich sollte wirklich nicht außerhalb von Whitehall über Regierungsgeschäfte plaudern. Vor allem nicht mit einem Mann, dessen ganze Treue einer anderen Nation gehört. Aber aufgrund unserer langen Bekanntschaft glaube ich doch, dass Sie Geheimnisse zu wahren wissen, Mr Crowe.« Er spießte einen Pilz mit der Gabel auf und biss hinein. »Ah, perfekt.«
    Er schloss die Augen und kaute. »Nun«, fuhr er dann fort und schlug sie wieder auf. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, es gibt im Moment mehrere internationale Vorfälle, die mit dieser Angelegenheit zu tun haben könnten.