Young Sherlock Holmes 3
Armsessel in London und nimmt den ganzen langen Weg auf sich, nur um zu sehen, ob mit mir alles in Ordnung ist.«
»Es geht um mehr als nur um Sie«, sagte Sherlock. Rasch erzählte er, was in London und Moskau alles vorgefallen war.
Wormersley lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nippte an seinem Tee. »Interessant«, sagte er. »Interessant und seltsam.«
»Es ist, als würde man es mit einer unvollständigen Menge von Porzellanscherben zu tun haben«, sagte Sherlock. »Und ich habe keine Ahnung, was für einen Gegenstand sie ergeben würden, könnte man alle zusammensetzen.« Noch während er die Worte sprach, fragte er sich, warum ihm plötzlich das Bild von zerbrochenem Porzellan in den Sinn gekommen war.
»Wahrscheinlich hängt alles mit dem Grund zusammen, weswegen Mycroft verhaftet wurde«, sinnierte Wormersley. »Hält er sich hier unter eigenem oder einem Decknamen auf?«
»Er ist hier als Mr Sigerson«, erwiderte Sherlock. »Er gehört zu einer Theatergruppe, die hier auf Einladung eines russischen Prinzen Aufführungen veranstaltet. Jusupow, glaube ich, ist sein Name.«
Wormersley nickte. »Gute Tarnung. Ist er in meine Wohnung gegangen?«
»Wir beide sind es.«
»Vermutlich ist er deswegen verhaftet worden. Sie haben die Wohnung beobachtet und Mycroft verhaftet, weil er wissen könnte, wo ich mich verstecke.«
»Das ergibt überhaupt keinen Sinn.« Der Tee und die Piroschki trugen dazu bei, Sherlocks Geist aus seiner Lähmung zu befreien. »Wenn das stimmen würde, hätten sie ihn in der Wohnung verhaftet – uns beide verhaftet –, statt zu warten, bis wir wieder im Hotel sind. Und es erklärt auch nicht, warum sie versucht haben, mir den Taschendiebstahl anzuhängen.« Er schwieg einen Moment, während er versuchte, seine Gedanken zu sammeln.
Plötzlich holte er tief Luft, als eine Erkenntnis in ihm Gestalt anzunehmen begann. »Es sieht fast so aus, als wären zwei separate Organisationen am Werk – eine geheimnisvolle, die es vorzieht, Leuten etwas anzuhängen, das sie nicht getan haben, und eine, die in aller Öffentlichkeit Verdächtige verhaftet und in Kutschen verfrachtet. Eine inoffizielle und eine offizielle.«
Wormersley nickte vorsichtig. »So weit bin ich ganz deiner Meinung. Mach weiter.«
»Die offizielle Organisation – die Dritte Abteilung, wie ich vermute – hat meines Wissens keinen Grund, Mr Sigerson, den unschuldigen Manager einer Theatergruppe zu verhaften. Wüssten sie andererseits, dass es sich bei Mr Sigerson in Wirklichkeit um Mycroft Holmes handelt, einen britischen Regierungsbeamten auf geheimer Mission in Moskau, hätten sie allen Grund, ihn festzunehmen.«
»Das hätten sie in der Tat. Aber wer würde ihnen das verraten?« Wormersley nickte. »Deine nebulöse, geheimnisvolle zweite Organisation, vermutlich? Aber warum sollten
die
wollen, dass man Mycroft verhaftet?«
»Um ihn aus dem Weg zu räumen?« Sherlock dachte einen Augenblick nach. »Nein, das ergibt auch keinen Sinn. Es gibt einfachere Methoden, jemanden aus dem Weg zu räumen. Nein, es muss ihnen darum gegangen sein, dass er
verhaftet
wird.« Wieder schwieg er einen Moment, um seine Gedanken zu sammeln. »Sie müssen darauf aus gewesen sein, dass er von der Dritten Abteilung verhaftet wird – an deren Spitze ein Mann steht, den Mycroft, wie er gesagt hat, kennt: Graf Pjotr Andrejewitsch Schuwalow. Sie sind sich vor ein paar Jahren in Frankreich begegnet.«
Wormersley forderte Sherlock mit einer Handbewegung auf, seine Stimme zu senken. »Besser, man erwähnt diesen Namen nicht in der Öffentlichkeit«, warnte er. »Die Dritte Abteilung hat ihre Ohren überall. Allein ihren Namen zu erwähnen reicht schon, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«
Doch Sherlock war zu aufgekratzt, um aufzuhören. Es war, als würde er einen Haufen Puzzleteilchen betrachten und sie in Gedanken hin und her bewegen, bis sich ein Bild abzeichnete. Oder eine Ansammlung von Porzellanscherben, die er im Kopf wieder zu einer Porzellanfigur zusammensetzte. Auf einmal war ihm völlig klar, dass diese zweite, geheimnisvolle Organisation tatsächlich wollte, dass Mycroft verhaftet wurde, weil sie wussten, dass Graf Schuwalow ihn persönlich verhören würde.
Sein Bruder war ein wichtiger Diplomat und Schuwalow kannte ihn. Sherlock hielt es für unwahrscheinlich, dass Schuwalow das Verhör eines solch bedeutenden Diplomaten einem Untergebenen anvertrauen würde. Und darüber hinaus würde er nicht wollen, dass noch
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