Ysobel – Das Herz aus Diamant
sonores Schnarchen durch den Raum klang.
Dame Thilda schüttelte sich vor Abscheu und eilte davon. Sie glaubte zu wissen, wer an Gratiens dummes Gewissen gemahnt hatte. Mit Sicherheit Ysobel, die Klosterschwester. Vermutlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis dieser Schwachkopf ihr alles gestand, um seine Seele zu erleichtern. Es wurde in jedem Fall Zeit, sich von diesem Mädchen zu befreien. Je schneller, je besser. Vorher musste sie, Thilda, jedoch dafür sorgen, dass Gratien eine volle Karaffe vorfand, wenn er die Augen wieder aufschlug. Malvasier. Der war schwer genug, damit er die gehörige Portion des Schlafmittels nicht schmeckte, die sie ihm darunter mischen würde.
»Volberte! Zum Kuckuck, Volberte, wo steckst du!? He, du da! Such mir Dame Volberte! Sie soll auf der Stelle in mein Kabinett kommen!«
Die schielende Magd, die einen Korb voll Feuerholz den Gang entlangzerrte, ließ Holz und Korb einfach stehen und stürmte davon, die Haushofmeisterin zu suchen. Es war nicht ratsam, die Hausherrin warten zu lassen, wenn sie in dieser schrillen Tonlage Befehle erteilte.
»Sie sagen, er heißt Jos, und niemand weiß genau, woher er kommt. Eines Tages ist er aufgetaucht und hat der Witwe von Kennec in Ploaré das Boot abgekauft. Die Männer behaupten, er sei kein guter Fischer, er sitzt mehr in der Schänke herum, als mit den anderen hinauszufahren. Er schnitzt hübsche Dinge für die Mädchen und plaudert lieber, statt sich um seinen Kahn zu kümmern ...«
Jeanne war sichtlich stolz auf die Neuigkeiten, die sie Ysobel nach so kurzer Zeit schon berichten konnte, während sie sich gemeinsam der schmutzigen Töpfe annahmen, die sich wie üblich in der Spülküche stapelten. Ysobel mochte die Arbeit nicht, aber sie brachte es nicht fertig, die kleine Spülmagd im Stich zu lassen. So erschöpft, wie das Mädchen aussah, hatte es wenig Chancen, jemals eine einfachere Arbeit zu bekommen. Wenn sie ihr indes half ...
»Aber es kann natürlich auch sein, dass die Fischer wütend auf ihn sind, weil die Frauen ständig um ihn herumscharwenzeln. Die Mütter ebenso sehr wie die Töchter. Er sieht gut aus, und er versteht es, ihnen Dinge zu sagen, die sie hören wollen. Sie haben Wetten abgeschlossen, wie lange es noch dauert, bis die Witwe Kennec ihn in die Kirche zerrt. Er hat eine Art, die dem Weibervolk gefällt ...«
Dem konnte Ysobel nur beipflichten. Sie dachte an die hölzerne Möwe, die in ihrem Schatzkästchen auf sie wartete. Jeanne indes hielt ihr Nicken für die Aufforderung, das Thema weiter auszubreiten. »Es fragt sich nur, ob er sich am Ende wirklich für eine Witwe entscheidet, die schon auf die Dreißig zugeht und vier Bälger durchzufüttern hat. Jeder Mann hat doch lieber eine Junge ...«
Ysobel schloss die Lider. Nicht, weil sie müde war, sondern weil sie Angst vor dem hatte, was die kleine Jeanne vielleicht in ihren Augen las. Zorn in erster Linie, aber auch eine seltsame Angst und eine Kränkung, die sich schwer auf ihr Herz legte. Er tändelte mit der Frau eines Fischers herum? Jos de Comper? Nun, warum nicht? Er hatte auch die Zerstreuung in den Armen eines Mädchens gesucht, das er für eine einfache Magd halten musste. Sogar für die Buhle des Seigneurs. Es kam ihm wohl nicht darauf an, wo er sich sein Vergnügen holte.
»Ein Weiberheld«, murmelte sie bitter.
»Aber ein charmanter, den jede gerne in ihrer Hütte hätte«, flüsterte Jeanne und schrubbte so heftig an einer großen Kupferpfanne, dass nicht einmal Dame Volberte etwas daran auszusetzen gehabt hätte. Glücklicherweise ließ sie sich selten in der Spülküche sehen. »Er hat der Witwe von Kennec das Dach ausgebessert und ihr eine eigene Unratgrube ausgehoben. Sie wird von allen Frauen des Dorfes glühend um diesen Mann beneidet.«
Ysobel versuchte, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das fehlte noch, dass sie sich vom Geschwätz einer redseligen Spülmagd dermaßen aus der Fassung bringen ließ. Jos de Comper war ein Spion des Herzogs, und so wie sie ihn kennen gelernt hatte, gewann er seiner gefährlichen Aufgabe durchaus ihre guten Seiten ab. Dass es in seiner Macht stand, einen gefährlichen Zauber über sie zu werfen, musste mehr denn je ihr Geheimnis bleiben.
»Ysobel!« Eine der anderen Mägde erschien am Spülstein. »Du sollst zur Herrin kommen. Eil dich, sie mag’s nicht, wenn man sie warten lässt.«
Ysobel wischte sich die feuchten Hände an ihrem Rock ab und nickte Jeanne zu. Sie setzte sich
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