Ysobel – Das Herz aus Diamant
fällen!«
Ysobel unterdrückte ihren Entsetzenslaut, indem sie die Faust in den Mund schob und auf die Knöchel biss. Die kriecherische Ergebenheit, mit der Volberte der Edeldame zu Diensten war, verursachte ihr Übelkeit. Die Bösartigkeit dieser beiden Frauen ließ sie schaudern.
»Gut, dann sorgst du dafür, dass das Frauenzimmer morgen anständige Kleider trägt und Gratien seine liebe Schwester in diesem Staat zu sehen bekommt. Er soll in Erinnerung behalten, dass ich alles für das Flittchen getan habe. Es kann unserem Geschäft zudem nicht schaden, wenn der Maure sie ein wenig herausgeputzt zu sehen bekommt. Wir wollen doch, dass er ihren vollen Wert erkennt und bezahlt! Immerhin kann man ja annehmen, dass sie noch Jungfrau ist. Darin war das Kloster wenigstens zu etwas nutze ...«
Das hämische Lachen, mit dem Dame Thilda sich über ihre eigene Boshaftigkeit amüsierte, jagte einen weiteren Schauer durch Ysobels ohnehin zitternden Körper. Ihre Ahnungen verdichteten sich zur Gewissheit. Die vermeintliche Barmherzigkeit von Gratiens Gemahlin diente ausschließlich dazu, sie in Sicherheit zu wiegen. Alle ihre Sinne rieten zur Flucht, aber sie blieb dennoch in ihrem Versteck. Dass die gnädige Frau um diese späte Stunde noch ein Bad nehmen wollte, war glücklicherweise nicht zu erwarten.
»Was tun wir, wenn der Hauptmann der Wache sich wieder querstellt?«, hörte sie Volberte unterwürfig fragen. »Er hat anscheinend sein Gewissen entdeckt!«
»Was kümmert mich dieser Narr«, fuhr Dame Thilda sie an.
»Er hat sein Essen mit dem Mädchen geteilt, und Ihr wisst, dass er Gratien in einfältiger Treue ergeben ist. Er könnte das Mädchen warnen ...«
»Wovor denn, du dumme Gans?«, brauste ihre Herrin auf. »Die Burgbesatzung besteht längst aus den Männern des anderen. Das beste wird ohnehin sein, wenn er in der Neumondnacht einen Unfall erleidet, ich kann diese hässliche Visage nicht mehr sehen. Und nun hör auf zu schwatzen und bring mir die Truhe. Welch ein Segen, dass es mir gelungen ist, Gratien das Siegel des Herzogs von St. Cado abzuschwatzen!«
Ysobel hörte ein Kratzen und Klappern, dann folgte absolute Stille. Das Siegel des Söldnerführers? Einen solchen Beweis benötigte sie unbedingt! Sie musste es an sich bringen. Aber wie sollte sie das tun, ohne dass die Dame von Locronan diesen Diebstahl bemerkte oder sie gar dabei erwischte? Heilige Anna, was immer sie im Kloster gelernt hatte, das Stehlen gehörte nicht dazu.
Wenn sich die erwähnte Truhe in Thildas Schlafgemach befand, gab es nur eine Möglichkeit. Sie musste im Laufe des nächsten Tages entwendet werden, sobald ihre Schwägerin diesen Raum verließ und sich mit ihrem Gefolge in den Söller begab, wo sie die meiste Zeit zubrachte. Freilich, ohne die Hilfe einer zweiten Person war das kaum zu machen ...
Die Frau trug nur ein weites Hemd, das ihr bis zu den Knöcheln reichte, und der Ausschnitt klaffte über einem üppigen Busen, der sich prall und verheißungsvoll unter dem Stoff wölbte. Sie hielt eine dürftige Talglampe hoch, und das Licht fiel auf wirre schwarze Locken und misstrauische Augen, die sich auf die Besucherin im dunklen Umhang hefteten, die zu so später Stunde an ihre Tür geklopft hatte.
»Was willst du?«
Ysobel bemühte sich nach besten Kräften, ihre jähe Abneigung zu verbergen. Die Witwe Kennec entsprach nur zu genau der Vorstellung, die sie sich von ihr gemacht hatte. Eine heißblütige Dirne, die sich vermutlich jedem Mann an den Hals warf! »Ich muss mit Jos sprechen!«
»Bist du noch ganz bei Trost, Mädchen?«, fuhr die Frau sie an und machte Anstalten, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen. »Das ist ein anständiges Haus! Wenn du Jos nachstellen willst, wirst du es nicht unter meinem Dach tun!«
»Sapperlot!« Ysobel stemmte die flache Hand mit aller Kraft gegen die Tür und verzichtete auf überflüssige Höflichkeiten. »Es ist wichtig! Denk, was du willst, aber ich muss mit ihm reden. Er ist doch hier?«
»Nein«, gab die Frau mürrisch zu. »Und frag mich nicht, wo du ihn findest. Er bleibt oder geht, wie es ihm in den Sinn kommt. Du kannst ihn ebenso wenig halten wie diesen vermaledeiten Wind! Lass ihn in Frieden, wenn du einen Rat von mir willst! Wer bist du überhaupt? Ich hab’ dich noch nie bei uns gesehen, und ich kenne alle Menschen, die in Locronan leben. Wie heißt du?«
Ysobel wich tiefer in den Schatten zurück und zog ihren Umhang fester um sich. Wie seltsam, in der eigenen
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