Ysobel – Das Herz aus Diamant
auf Männerfang gingen.
»Lasst mich!«, flehte sie heiser und riss an den Fäusten, die sie hielten. »Ihr habt kein Recht, mich aufzuhalten. Ich bin eine ehrbare Frau!«
Niemand hörte ihr zu. Die Halunken waren viel zu beschäftigt, einander den Vorrang bei den Mädchen streitig zu machen. Anscheinend gab es jedoch einen Anführer, der sich mit klatschenden Faustschlägen durchsetzte und die kreischende Dirne einem anderen in die Arme warf, der sie wie einen Sack Getreide einfach über die Schulter legte und davontrug. Ihr schrilles Quietschen weckte vermutlich das halbe Dorf, aber Ysobel ahnte, dass sich trotzdem nicht eine Tür öffnen würde. Ploaré hatte Angst vor diesen Kerlen. Sie terrorisierten offensichtlich die ganze Bucht.
Als sich der Befehlshaber ihr zuwandte, sah Ysobel gegen das Licht der Fackel nur einen bulligen Umriss, ohrenkurz geschnittene Haare, wie sie das Tragen eines Helms erforderlich machte, und behaarte Pranken, die nach ihrem Zopf griffen. Die schmerzende Parodie der zärtlichen Geste, mit der Jos sie erobert hatte, trieb ihr zornige Tränen in die Augen. Zu allem Überfluss musste sie sich auch selbst die Schuld an ihrer misslichen Lage geben. Weshalb hatte sie nicht besser aufgepasst?
»Ehrbare Jungfern treiben sich nicht zur Matutin auf den Gassen herum, mein Liebchen«, verhöhnte er sie und blies ihr den säuerlichen Weingestank seines Atems ins Gesicht. Sie wich zurück, so weit es ihre geplagte Kopfhaut zuließ. »Ich seh’ schon, wir beide werden viel Vergnügen miteinander haben. Ich hab’s gern, wenn die kleinen Katzen ein wenig ihre Krallen wetzen!«
Ysobel zappelte demütigend schwach in seinem Klammergriff. Obgleich sie das Gefühl hatte, dass er ihr jeden Moment die Haare abreißen würde, konnte sie nicht aufhören, sich zu wehren.
»Der Seigneur wird dich zur Rechenschaft ziehen«, keuchte sie wider besseres Wissen. »Männer aus der Burg, die sich gewaltsam an rechtschaffenen Frauen vergreifen, riskieren den Tod!«
Sie stieß mit den Beinen nach ihm, aber die bloßen Füße richteten keinen Schaden an. Die nassen Stoffbahnen ihrer Kleidung bremsten jeden Schwung zu völliger Wirkungslosigkeit. Ysobel sackte mit einem heiseren Laut zusammen. Sie bekam kaum noch Luft, und die Gesichter rings um sie her, die partienweise im Fackellicht erschienen, schwankten wie ein Hexentanz böser Geister über dem Moor. Das Bild wurde vom Rand her immer schwarzer und verschwommener, gleich würde es ganz verschwunden sein ...
»Verdammt, nein! Du wirst nicht ausgerechnet jetzt ohnmächtig werden! Nimm deine Beine unter den Arm und lauf! Hoch mit dir!«
Der barsche unfreundliche Befehl vertrieb jählings die schwarzen Nebel. Das Bild wurde wieder klarer, und Ysobel bemerkte erst jetzt, dass ihr Kopf zwar immer noch abscheulich schmerzte, dass er aber nicht mehr diesem mörderischen Zug ausgesetzt war. Der Pulk der Männer, der sie bedrängt hatte, befand sich in seltsamer Auflösung. Einer von ihnen taumelte gekrümmt die Gasse entlang, ein nächster presste fluchend die Hand auf die Schulter, während von zwei anderen nur noch die Schritte zu hören waren.
Ihr Peiniger indes richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf einen Dolch, der an seiner Kehle bereits ein winziges Rinnsal von Blut verursachte. Wie gelähmt wagte er keine einzige Bewegung. Jos mochte die einfachen Kleider eines Fischers tragen, aber von seiner gespannten Gestalt ging eine so eiskalte Drohung aus, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass er zustechen würde, sobald der andere auch nur einen falschen Wimpernschlag wagte.
»Zum Henker, worauf wartest du?«, zischte er in ihre Richtung.
Ysobel packte ihre Röcke und rannte, ohne sich ein einziges Mal umzusehen, zum Strand hinunter, wo die Boote im Schlick lagen, weil bei diesem Wind und dieser Dunkelheit kein Fischer hinausfuhr. Die Gasse ging in Sand über, und die Häuser des Dorfes blieben zurück. Klippen rückten näher ans Meer. Sie schnitt sich die Füße an den scharfkantigen Felsen, sie stürzte einmal, aber sie hielt nicht inne, bis sie keuchend in der vertrauten Felshöhle in den Sand stürzte und nach Luft rang. Sie kreuzte die Arme schutzsuchend vor der Brust und hoffte damit das Zittern zu unterdrücken, das ihren ganzen Körper wie ein Fieber schüttelte.
»Bist du des Wahnsinns, Mädchen? Wie kannst du in einer solchen Nacht durch das Dorf spazieren, als gäbe es nichts Wichtigeres, als ein wenig frische Luft zu schnappen? Hast du auch
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