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Ysobel – Das Herz aus Diamant

Ysobel – Das Herz aus Diamant

Titel: Ysobel – Das Herz aus Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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nur eine Vorstellung davon, was diese Söldner mit dir gemacht hätten, wenn ich nicht zufällig dazugekommen wäre?«
    Ysobel sah hoch und entdeckte Jos de Comper, der eine Blendlaterne anzündete und sorgsam zum Strand hin abdeckte, damit kein Lichtschein hinausfiel. Sie stieß japsend den Atem aus und endete in einem Laut, der ein spöttisches Lachen sein sollte, aber eher nach einem Schluchzen klang.
    »O ja, das habe ich, Herr Ritter!«, entgegnete sie bitter. »Denkt Ihr, das Grauen in diesem Land macht vor den Frauen halt? Habt Ihr eine Ahnung, warum ich Dame Thildas Grausamkeiten ertrage? Weil sie immer noch besser sind als alles, was außerhalb der Burgmauern geschieht!«
    Jos de Comper runzelte die Stirn und betrachtete das feine, aufgewühlte Antlitz, das sich wie im Schmerz spannte. »Was willst du damit sagen?«, fragte er. »Weshalb lässt du dich schinden?«
    »Weil es nur gerecht ist«, stieß Ysobel heraus. »Weil es kein Glück für mich geben kann, und weil es die gerechte Strafe für meine Sünden ist!«
    »Was kannst du schon für Sünden haben, Mädchen?«, murmelte Jos und strich ihr eine Haarsträhne aus der blassen Stirn. Er fühlte den Schweiß auf ihrer Haut und knirschte mit den Zähnen. Am liebsten hätte er sie einfach in die Arme genommen, aber etwas in ihrer Haltung warnte ihn davor. Sie war nicht sie selbst in diesem Augenblick.
    »Ich habe die schlimmste aller Sünden begangen. Ich habe getötet!«
    Die Worte beschworen das verborgene Grauen wieder herauf. Die entsetzlichen Tage ihrer Flucht, durch ein ausgeblutetes Land, das von plündernden Söldnern und Wegelagerern beherrscht wurde, die sich nach der Schlacht von Auray in alle Winde verstreuten. Die kalte, geschäftsmäßige Grausamkeit des Landstreichers, der ihr zwischen den Ruinen eines Dorfes aufgelauert hatte, wo sie verzweifelt nach einer Menschenseele, nach einem Becher Wasser oder etwas Essbarem suchte, aber nur Gewalt und Demütigung fand.
    »Er hat mich niedergeschlagen, gefesselt und darin benutzt wie ein Stück Vieh«, hörte sie sich zu ihrem Entsetzen das Unaussprechliche erzählen. »Wieder und wieder. Ich weiß nicht, wie viele Tage es dauerte, bis ich den Strick durchscheuern konnte, der mich an eine Futterraufe band. Es war Nacht, und sein Schnarchen sagte mir, dass er schlief. Er ... er hatte die Waffen abgelegt, ehe er sich mir aufzwang. Ich musste nur den Dolch nehmen und ... Ich hatte Angst, dass er nicht schnell genug tot sein würde ...«
    Der Schock des neuerlichen Überfalls hatte Ysobels Zunge gelöst, die Worte stürzten aus ihr heraus, heiser, als schmerzte es ihre Kehle, sie zum ersten Male auszusprechen.
    »Ich habe wie eine Rasende zugestochen, immer wieder und wieder ... Egal, wohin ich getroffen habe ... Er schrie, aber dann war da nur noch dieses Gurgeln ...«
    »Schscht!« Jos nahm die junge Frau in seine Arme und versuchte, ihre tödliche Erstarrung zu lösen. »Schscht, das ist vorbei. Du musst es vergessen. Niemand wird dir mehr Böses tun, ich verspreche es dir. Beruhige dich, Mignonne, du bist nicht länger in Gefahr ...«
    Nach und nach drangen die sanften Worte durch die eisige Hülle von Ysobels Schock. Was hatte sie getan? Das Unfassbare gestanden? Wie war das möglich? Sie hatte jeden Gedanken daran gewaltsam aus ihrem Kopf verbannt und sich geschworen, nie wieder daran zu rühren. Sie war für immer verdammt, beschmutzt. Eine Sünderin, die ein Leben zerstört hatte. Sie versuchte ihre wilden Gefühle zu beherrschen. Sie stemmte die Handflächen gegen die breite Brust des Edelmannes und befreite sich unruhig aus seiner Umarmung.
    »Es ... es ist vorbei. Ich ... nun ... Ihr braucht Euer Mitleid nicht an mich zu verschwenden.«
    Der hartnäckige Stolz, mit dem sie ihre tiefen Wunden vor ihm verbarg, rührte und erboste ihn zugleich. Er fühlte sich auf eine Weise zurückgestoßen, die sein Selbstbewusstsein nur schwer vertrug. Aber vielleicht lag der Fehler auch bei ihm. Ysobel war eben keine empfindsame Edeldame, die im Elfenbeinturm lebte und einen ritterlichen Beschützer benötigte. Ysobel war die Bretagne selbst. Verwundet, aber dennoch wunderschön und sehr wohl fähig, aus eigener Kraft wieder zur alten Herrlichkeit zurückzufinden.
    »Was ist mit dem Toten geschehen?«, erkundigte er sich neugierig.
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete sie abweisend. »Ich bin noch in der derselben Nacht geflohen. Zwei Tage später konnte ich mich dem Handelszug eines Kaufmannes anschließen,

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