Ysobel – Das Herz aus Diamant
ist.«
Jean de Montfort hob gebieterisch die Hand. Er kannte das aufbrausende Temperament des Grafen. »Ich nehme an, man hat Euch gesagt, um wen es sich dabei handelt!«, erkundigte er sich bei seinem Herold.
»Man bringt das Unterpfand auf die Zinnen, damit Ihr Euch mit eigenen Augen von seiner Anwesenheit und bisherigen Unversehrtheit überzeugen könnt«, entgegnete der Herold. »Man hat Waffenstillstand zugesichert, solange die Verhandlungen dauern. Paskal Cocherel will indes von Mann zu Mann mit Euch sprechen.«
»Sehen wir uns also die Angelegenheit aus der Nähe an«, entschied der Herzog knapp und winkte die Hauptleute an seine Seite. »Ihr begleitet mich und haltet Eure Männer bereit, falls es sich um eine Finte handelt. Dem alten Fuchs ist alles zuzutrauen ...«
Ohne sonderliche Eile zu zeigen, trabten die mächtigen Schlachtrösser über die breite Straße auf Locronan zu. Der Regen hatte den Weg aufgeweicht, und die Hufe der Pferde verursachten leise schmatzende Geräusche, begleitet vom Klirren der Zaumzeuge, dem Flattern der Schabracken und dem leisen Rasseln der blankpolierten Rüstungen. Die wappenverzierten Waffenröcke der Reiter schimmerten prächtig im Licht des neuen Tages.
Jos de Comper war unter jenen, welche die Farben des Herzogs trugen. Er hatte das Recht auf das Wappen von Comper an seine Brüder abgetreten, und ein eigenes Gut oder Lehen, das ihn wappenfähig machte, besaß er nicht. Er hatte gehofft, sich dem Herzog irgendwann so unentbehrlich zu machen, dass er mit einer Burg belohnt wurde, aber so wie es aussah, kam der Friede, ohne dass er so viel Ruhm und Ehren eingeheimst hätte. Nicht zuletzt auch deswegen, weil er den vergangenen Herbst damit verbracht hatte, seinen Fürsten zu ärgern, als er für die damals völlig hoffnungslose Ehrenrettung Raoul de Nadiers eintrat.
Aber vielleicht hatte das Schicksal auf seine Weise damit etwas Gutes für ihn getan. Ein landloser Ritter, der sich mit einer Magd verband, war bei weitem ein kleinerer Skandal als ein Lehnsherr, der so etwas in Erwägung zog. Wenn Ysobel das einfache Mädchen war, das er so gerne in ihr sehen wollte. Wenn sie überhaupt noch lebte!
Seltsamerweise war er trotz allem davon überzeugt, dass dies der Fall sein musste. Irgend etwas sagte ihm, dass er es spüren würde, wenn es sie nicht mehr gäbe. Die seltsame, innige und nie erlebte Verbindung zwischen ihnen hatte nach wie vor Bestand. Ihre Liebe lebte!
»Seht nur, dort!«
Kèrven des Iles hatte die Gestalt auf den Zinnen als erster entdeckt. Die steife Morgenbrise wehte die kupferfarbenen Locken wie einen Schleier über die Zinnen. Eine Frau in einem dunklen Soldatenmantel, deren blasse, edle Züge auch auf diese Entfernung als die einer Dame von adeliger Geburt zu erkennen waren.
»Ysobel!«, ächzte Jos mit tonloser Stimme.
Neben der jungen Frau tauchte nun die gedrungene Gestalt des Söldnerführers auf. Er achtete dabei sorgsam darauf, dass er von seiner Gefangenen gegen jeden möglichen Pfeil oder Armbrustbolzen gedeckt wurde.
»Wenn Ihr angreift, ist sie des Todes!«, rief er mit sattem Triumph in der Stimme über das Vorfeld hinunter. »Wollt Ihr dieses Verbrechen auf Euer empfindliches Gewissen laden, Messire de Montfort? Immerhin ist sie Ysobel de Locronan und somit die Letzte eines ruhmreichen Geschlechtes!«
»Gütiger Himmel!« Der Herzog warf einen wütenden Blick in die Runde, der an Jos hängenblieb. »Wie ist das möglich? Warum hat mir niemand gesagt, dass die Dame de Locronan in der Burg ist? Habt Ihr das nicht in Erfahrung bringen können, Comper?«
Jos versagte die Stimme. Er starrte mit brennenden Augen hinüber zur Burg. Ysobel sah aus, als würde sie jeden Moment zuammenbrechen. Geisterhaft blass und ohne jeden Funken von Leben. Was hatten sie ihr angetan? Gütiger Himmel, konnte es sein, dass sie keine Kleider unter diesem Umhang trug? Wenn der Wind die Falten bewegte, sah es ganz danach aus!
»Gebt die Dame frei!«, rief der Herzog unbeherrscht und erntete dafür nur höhnisches Gelächter.
»Das könnt Ihr nicht ernsthaft fordern! Aber sie gehört Euch! Ich lege ihr Schicksal in Eure Hände! Entweder sind Eure Truppen morgen um diese Zeit verschwunden, oder ich werfe dieses hübsche Kind vor dem Angriff über die Zinnen! Entscheidet selbst!«
Hilflos mussten die Männer mit ansehen, wie Ysobel davongezerrt wurde. Der Umhang rutschte über eine blasse, seidige Schulter und bestätigte Jos schlimmste
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