Ysobel – Das Herz aus Diamant
Entscheidungen mißfielen, die von ihm verlangt wurden. »Vielleicht ergibt sich im Laufe der nächsten Stunden ja doch noch eine Möglichkeit, etwas für die Dame zu tun.«
Der Rat löste sich auf, und ohne sich verabredet zu haben, blieben Raoul de Nadier und Jannik de Morvan Ysobels Ritter auf den Fersen. Die beiden Kampfgefährten rahmten ihn rechts und links ein, während er mit langen, wütenden Schritten an den Rand des Lagers stürmte. Von dort hatte man einen prächtigen Blick auf die massige Burg mit ihren wehrhaften Mauern, den klobigen Türmen und dem breiten Burggraben, dessen Zugbrücke den Eingang verschloss.
»Was hast du vor?«, erkundigte sich Raoul, obwohl er es bereits zu wissen glaubte.
»Wer sagt dir, dass ich überhaupt etwas vorhabe?«, raunzte Jos in schwärzester Laune. Seine Augen funkelten.
»Dein Gesicht verrät dich«, erwiderte sein Freund. »Komm schon, du wälzt irgendwelche Pläne, die dem Herzog nicht gefallen werden!«
»Ihr plant, durch jenes Gewirr der Geheimgänge in die Burg zurückzukehren und Ysobel zu befreien, nicht wahr?«, sagte Jannik ihm auf den Kopf zu.
Jos versuchte ein Lachen. »Wie kommt Ihr auf eine so absurde Idee?«
»Weil ich es täte, wenn Tiphanie in dieser Falle steckte«, entgegnete der andere sachlich. »Ihr liebt das Mädchen, und es ist die einzige Möglichkeit, sie dort herauszuholen. Ansonsten werdet Ihr von Glück sagen können, wenn Ihr überhaupt einen Körper findet, den Ihr beerdigen könnt.«
»Ich ...« Die brutal-ehrlichen Worte verschlugen Jos die Sprache. Jannik hatte vollkommen recht. Es blieb ihm gar nichts übrig, als den Versuch zu wagen, Ysobel zu retten. Jean de Montfort konnte sich der Forderung des Söldnerführers nicht beugen. Ein Leben für die ganze Bretagne. Ein geringer Preis, wenn man nicht gerade Jos de Comper hieß und dieses Leben mehr liebte als das eigene.
Er starrte mit brennenden Augen auf die Mauern. Der Wind trieb zerfetzte Wolken über das Meer und die Klippen. Wo hielt er Ysobel gefangen? In einem der Kerker? In einem normalen Gemach? Himmel, sogar wenn er sich ohne Führer im Labyrinth der Höhlen und Gänge unter den Klippen zurechtfände, wie sollte er sie in der Burg entdecken, ohne dass er Cocherels Banditen in die Hände fiel?
»Nun, wie ist es?«, forschte Raoul ungeduldig, weil ihm Jos’ Schweigen zulange dauerte. »Hat Jannik recht? Ist es das, was du planst?«
»Mag sein«, wich Jos aus, obwohl sein Entschluss längst feststand.
»Mag sein ...«, äffte sein Freund ihn nach. »Ist dir klar, was du damit aufs Spiel setzt? Das Wohlwollen des Herzogs. Muss ich dich daran erinnern, dass dieses Wohlwollen alles ist, was du hast? Wenn du ein Lehen willst und ein eigenes Wappen, kannst du es nur durch ihn erlangen. Er wird den Teufel tun und einen Kerl auszeichnen, der in der Schlacht nicht an seiner Seite reitet, sondern auf eigene Faust den Weg des Schicksals zu ändern versucht!«
Jos fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die Haare. Raoul hatte recht, und doch fühlte er sich völlig unberührt von der Aussicht, in Ungnade zu fallen. Was interessierten ihn all die ehrgeizigen Pläne der Vergangenheit, wenn eine Zukunft ohne Ysobel auf ihn wartete? Alle seine Träume und Pläne begannen und endeten mit ihr!
»Jos, sei vernünftig!«, setzte Raoul hinzu, aber er erhielt nur ein Kopfschütteln als Antwort. Sein Freund wandte sich schweigend ab und stapfte zu den Pferdekoppeln.
»Wollt Ihr ihn wirklich davon abhalten, Ysobel de Locronan zu helfen?«, erkundigte sich Yannik de Morvan verblüfft. »Ich dachte, zumindest Ihr würdet bedingungslos auf der Seite der Novizinnen von Sainte Anne stehen. Könnt Ihr nicht verstehen, dass er es tun muss?«
Raoul de Nadier gab einen unwilligen Laut von sich. »Natürlich kann ich es. Aber habt Ihr Euch seinen Bericht genau angehört? Er hat den Weg durch diese Höhlen in dunkelster Nacht unter der Führung eines Mädchens gemacht, das jeden Schritt genau kannte. Wie soll er ohne sie in die Burg gelangen? Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich zu Tode stürzt, ertrinkt oder scheitert, ist bei weitem größer als die Möglichkeit seines Erfolges. Wenn er geht, werden wir ihn nicht wieder sehen!«
Jannik de Morvan suchte den Blick des anderen. »Er muss es tun, egal, wie es ausgeht. Und ich fürchte, er wird lieber bei dem Versuch sterben wollen, sie zu retten, als ohne sie zu leben.«
Genau das fürchtete Raoul de Nadier auch. »Teufel auch! Ich habe ihm eine
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