Ysobel – Das Herz aus Diamant
sollte. Hört Ihr!«
Einmal mehr bedauerte Hervé de Saint Croix, dass er die Dame nie kennen lernen würde, für die Jeanne einen solchen Einspruch wagte. Ysobel schien das Talent zu besitzen, die unterschiedlichsten Menschen zu fesseln und für sich einzunehmen.
»Es tut mir leid, kleine Jeanne«, erwiderte er mit gedämpfter Stimme und zog sie am Arm aus dem Gewühl der Ritter, Knappen, Pferdeknechte und Bogenschützen, ehe sie noch mehr herumgestoßen wurde. »Bete für deine Herrin, das ist das einzige, was du noch für sie tun kannst!«
»Wo ist Jos?« Jeanne reckte sich auf die Zehenspitzen und versuchte über Hervés Schulter zu schauen. »Ich meine den Ritter, der als Fischer in Ploaré gelebt hat und der sich Jos nannte! Ich muss mit ihm reden! Er wird Ysobel helfen! Er hat mir sein Wort gegeben.«
Der Graf hatte Mühe, das zappelnde Mädchen festzuhalten. »Du kannst ihn jetzt nicht sprechen. Er ist längst bei seinen Bogenschützen!« Er dachte nicht daran, der Magd zu sagen, dass der Ritter sich nicht unter den kämpfenden Männern befand. Je weniger von Jos’ Wagnis wussten, um so besser war es für ihn. »Versprich mir, dass du zum Tross gehst und dort bleibst!«
Jeanne duckte sich unter dem strengen Befehl, aber in ihren hellblauen Augen stand offene Rebellion.
»Du nützt deiner Herrin nichts, wenn du dich vor die Hufe der Streitrösser wirfst!«, versuchte der Graf es ein letztes Mal. »Frauen haben in einer Schlacht nichts verloren!«
»Hervé! Kommt Ihr?«
Jeanne sah ihm nach, wie er davonstürmte. Eine hochgewachsene dunkle Gestalt im wehenden Umhang, den Helm unter dem Arm. Sie hatte innerhalb eines einzigen Tages ihr kindliches Zutrauen in ihn und seinesgleichen eingebüßt. Wenn sie nichts taten, um Ysobel zu retten, dann würde sie nie wieder vor einem dieser Männer den Kopf beugen. Vielleicht sollte man das ohnehin vor keinem Mann tun. Wenn man sie näher kennen lernte, waren sie alle miteinander keine Kupfermünze mehr wert.
Der Diamant in der Mitte des goldenen Kreuzes fing das erste Licht des Morgens ein und sprühte bei jeder Bewegung in eisklaren Funken. Ysobel verengte die Augen, als sie das auffällig prunkende Schmuckstück auf dem dunklen Wams des Söldnerführers entdeckte. An einer dicken goldenen Gliederkette hängend, wirkte es wie ein heidnischer Fetisch. Man konnte es gar nicht übersehen.
Sie hatte geahnt, dass er es an diesem Morgen tragen würde, aber es schockierte sie dennoch. Ebendies hatte sie mit allen Kräften verhindern wollen. Es hätte nie passieren dürfen. Die Ereignisse waren die gerechte Strafe für ihr Scheitern.
»Wie es aussieht, bist du unserem Freund nicht besonders viel wert, Ysobel de Locronan!«, sagte er hämisch, während er mit der Rechten das Kreuz fest hielt, als zöge er aus dessen Berührung neue Kraft. Die Linke deutete auf die Heide hinaus, wo das Heer des Herzogs in Schlachtordnung Aufstellung genommen hatte.
Ysobel gab keinen Laut von sich. Die Hände, die ihr Gordien mit einem doppelten Strick vor der Taille gefesselt hatte, lagen ruhig in den Falten der grünen Tunika. Die hüftlangen, kupferfarbenen Locken bewegten sich sacht im Morgenwind, und die goldbraunen Augen fixierten das Meer in der Ferne. Sie wirkte königlich und völlig gelassen. Sie verströmte eine so erstaunliche Ruhe, dass sich ein paar der Söldner, die mit Bogen und Armbrüsten auf den Zinnen in ihrer Nähe standen, abergläubisch bekreuzigten.
Kein Wort fiel, während Paskal Cocherel die Hand an den Dolch in seinem Gürtel senkte. Eine prachtvolle sarazenische Klinge steckte dort in einer juwelenverzierten Scheide. Trotz allen Mutes wich Ysobel einen Schritt vor ihm zurück, bis sie die Kante einer Zinne in ihrem Rücken spürte und den gefährlichen Freiraum daneben.
Auf die Männer, die das Heer anführten, wirkte ihre zierliche Gestalt mit dem wehenden Haar zerbrechlich und herzergreifend zart. Das prachtvolle, elegante Gewand betonte die geschmeidige Schönheit ihrer Figur, und ihre aufrecht stolze Haltung entlockte Jean de Montfort einen gequälten Seufzer. Also war es Jos de Comper nicht gelungen, sie zu retten! Gütiger Himmel, er wollte nicht darüber nachdenken, was mit seinem Ritter geschehen war. Nun musste die Schlacht entscheiden.
»Tut es nicht!«, brüllte unerwartet eine Stimme neben ihm und der Graf von Vannes gab seinem schwarzen Hengst die Zügel. An der Kante des breiten Burggrabens zwang er das Pferd auf die Hinterbeine. Er selbst
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