Ysobel – Das Herz aus Diamant
Liebe gewünscht, die sein ungerührtes Herz besiegt, aber ich fürchte, ich habe ihm keinen Gefallen damit getan!«, entgegnete er deprimiert.
Jannik hob die Schultern und zog eine Grimasse. »Würdet Ihr eine Sekunde Eurer Liebe gegen das behagliche Gefühl eines ungerührten Herzens eintauschen? Wie seltsam, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Kommt, wenn wir ihn schon nicht begleiten können, so können wir doch wenigstens dafür sorgen, dass man ihn nicht vermisst.«
Brennende Feuertöpfe loderten auf den Zinnen von Locronan, und in ihrem Schein wirkten die bizarren Schemen der Kriegsgeräte, die vor den Mauern aufgezogen waren, wie gespenstische Ungeheuer. Vom Söller der Kemenate aus konnte Ysobel die zahllosen Kochfeuer im Lager des Herzogs erkennen. Sie hörte sogar das Pochen und Knarzen, mit dem die Steinschleudern und Belagerungstürme vorbereitet wurden.
In der Burg hörte sie lediglich die Schritte der Wachen auf den Wehrgängen und das ferne Grölen der Männer, die in der großen Halle tafelten, als gelte es jetzt schon, einen Sieg zu feiern. Ysobel stützte sich auf das steinerne Geländer und sah in die Schwindel erregende Tiefe hinab. Eine Bewegung, und ihr Körper würde irgendwo dort unten im Dunkel zerschellen.
Sie hob ihr Gesicht der Brise entgegen, die vom Meer über die Klippen strich und den feuchten Salzhauch der Wellen mit sich trug. Die Nacht nach dem Neumond zeigte undurchdringliche Finsternis. Sogar die weit entfernt glitzernden Sterne betonten nur die Schwärze des Firmaments. Ysobel fühlte sich unsichtbar. Ganz ein Teil der Dunkelheit und des Universums.
Der ungestörte Schlaf hatte sie erfrischt, wenngleich sie mit steifem Hals und schmerzendem Rücken dadurch wach geworden war, dass sie jämmerlich fror. Das Feuer im Kamin war bis auf unbrauchbare Glutreste niedergebrannt, und bei der Suche nach weiterem Holz hatte sie den Ausgang zum Söller entdeckt. Die frische Luft strich ihr über die Stirn und dämpfte das Pochen hinter ihren Schläfen auf ein erträgliches Maß.
Zum ersten Male seit undenklichen Zeiten vermochte sie wieder klar und ruhig zu denken. Vermutlich war dies die letzte Nacht ihres Lebens. Jean de Montfort durfte sich nicht von einem Söldnerhäuptling unter Druck setzen lassen, das wusste sie so gut wie er selbst. Er konnte sich um des Friedens willen die ritterliche Geste, das Leben einer Frau zu retten, einfach nicht leisten.
Es war völlig unnötig, sich vom Söller zu stürzen. Der kommende Tag würde so oder so das Ende für sie bringen. Ihre schlanken, kräftigen Finger umklammerten den steinernen Handlauf, bis die Knöchel weiß schimmerten. Das Ende aller Schmerzen, aber auch aller Zärtlichkeit und aller Liebe – und damit waren ihre Gedanken einmal mehr bei Jos de Comper. War er dort drüben im Lager? War seine Flucht und die der anderen wirklich geglückt? Dachte er in diesem Augenblick an sie?
Die Erinnerungen rissen Ysobel mit sich fort, gleich dem Sog des Meeres auf dem höchsten Stand der Flut. Sie hatte nicht geahnt, dass sie solche Gefühle für einen einzigen Menschen empfinden konnte. Sie hätte freudig ihre Seligkeit dafür gegeben, ihn noch ein letztes Mal zu sehen! Ihn in den Armen zu halten und seine Küsse auf ihrer Haut zu spüren. Ihn auf jene Weise »Mignonne« sagen zu hören, die ihr den Eindruck vermittelte, wunderschön und einmalig zu sein.
In Wahrheit war sie weder das eine noch das andere. Das Leben hatte sie unbarmherzig gezeichnet. Sie wäre ohnehin nie eine passende Gefährtin selbst für den einfachsten Ritter gewesen. Eine Frau, die nicht einmal ihre Unschuld in eine Ehe einbrachte, geschweige denn eine Mitgift oder gar einen ehrenvollen Namen. Jos de Comper hatte Besseres verdient.
Vielleicht belohnte ihn der Herzog ja mit der Hand eines schönen, wohlhabenden Edelfräuleins. Einer sanften Dame, die ihn so liebte, wie er es verdiente! Ysobel wünschte Jos alles Glück der Erde, aber die Tatsache, dass nicht sie es war, die es ihm schenken würde, schmerzte mehr als alle Demütigungen und Peitschenhiebe der letzten Tage.
Sie wischte sich unwillig mit dem Handrücken die verräterische Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln und kehrte in das dunkle Gemach zurück. Es dauerte geraume Zeit, bis sie Feuerstein und Zunder für die vielen Kerzen fand, aber der Holzkorb blieb bis auf ein paar letzte Späne leer.
»Willst du dich jetzt beschweren, weil du frieren musst?«, rief sie sich selbst zur Ordnung. »Sei froh, dass
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