Ysobel – Das Herz aus Diamant
parieren. Der erste Hieb drohte ihm schier die Arme aus den Gelenken zu reißen, aber dann siegte die Geschicklichkeit eines im Schwertkampf geschulten Ritters gegen die Wut des Angreifers. Funken sprühten von den Klingen. Scheiden sprangen in tödlichem Dröhnen gegeneinander. Doch Gordien war in all seiner brutalen Kraft der Schnelligkeit des Jüngeren ebenso wenig gewachsen wie dessen geradezu mörderischer Präzision.
Jos de Comper kämpfte nicht um sein Leben. Es war ihm nichts mehr wert. Er wollte nur noch töten. Er verströmte eine so unbarmherzige Gefährlichkeit, dass keiner der anderen Söldner auch nur wagte, Gordien zu Hilfe zu eilen. Fassungslos sahen sie ihm beim Sterben zu, entmutigt von dem Wissen, dass es ohne ihn und den Herzog nur die Niederlage für sie geben konnte.
Jos de Comper gewann die Schlacht um Locronan allein, aber in seinem Herzen beklagte er einen Verlust, der ihm alles schal und unwichtig erscheinen ließ. Als sich die Zugbrücke für Jean de Montfort, den unbestrittenen Herrn der Bretagne senkte, hieb er ihn ohnmächtiger Wut mit der bloßen Faust gegen die mächtigen Zinnen, die seine Liebste nicht gehalten hatten. Seine Freunde mussten nahezu Gewalt anwenden, um ihn zu seinem Fürsten zu bringen.
»Bei Gott, Ihr habt uns den Frieden gebracht, mein Freund! Ihr wisst nicht, wie dankbar ich bin!«
Nicht einmal der Dank des Herzogs konnte Jos aus seiner düsteren Trauer reißen. Er presste bitter die Lippen aufeinander. Erst jetzt bemerkte er, dass er noch immer das blutbesudelte Schwert in der Hand trug und warf es mit einem Laut des Abscheus weit von sich. Die Klinge klirrte gegen die Umrandung des Ziehbrunnens, und einer der Edelsteine, die ihr Heft zierten, brach aus der Fassung. Ein Rubin. Eine rote Träne rollte wie ein Blutstropfen in den Schlamm.
»Ich bitte Euch, mich aus Eurem Dienst zu entlassen«, bat er seinen Lehnsherrn mit einer Stimme, die er selbst kaum als die seine erkannte. »Es gibt nichts mehr, was ich für Euch tun kann!«
»Aber nein, mein Freund, das könnt Ihr nicht verlangen!«, protestierte der Herzog und fasste ihn freundschaftlich bei den Schultern. In der schmucklosen Lederkleidung des einfachen Bogenschützen glich Jos wieder dem Fischer, den die Menschen von Locronan kannten.
Jean de Montfort dachte gar nicht daran, Jos’ Bitte zu erfüllen, aber er wusste, dass er ihm Zeit geben musste, die tragischen Ereignisse zu verarbeiten. »Ich lasse nicht zu, dass Ihr jetzt eine solche Entscheidung trefft. Ihr seid viel zu aufgewühlt und zu verletzt, um einen so verhängnisvollen Entschluss zu überlegen. Gönnt Euch Zeit zum Nachdenken und mir Muße, die Angelegenheiten dieser Burg zu regeln.«
Jos nickte stumm und verließ den Burghof. Niemand hielt ihn auf. Nicht einmal Raoul de Nadier, der ohnehin keine Worte fand, weil ihm der Kummer die Stimme raubte. Er vermochte sich ebenso wenig über den fast gewaltlosen Sieg zu freuen wie die anderen Ratgeber des Herzogs. Er war zu teuer erkauft worden.
22. Kapitel
Das grelle Licht blendete sogar durch geschlossene Lider. Die Helligkeit des Paradieses? Eher die der Hölle, so lästig, wie es sich in ihr Bewusstsein drängte. Ysobel versuchte ihre wirren Gedanken festzuhalten. Sie hatte gesündigt und verdiente Strafe, zumindest hätte Mutter Elissa es so gesehen. Aber fühlte man sich in der Hölle so schwerelos? So weich und angenehm?
»Sie muss jeden Moment zu sich kommen!«, sagte eine unbekannte Männerstimme, und vorsichtig prüfende Fingerkuppen strichen über ihre Stirn.
»Es ist ein wahres Wunder, dass sie diesen lebensgefährlichen Sturz überlebt haben soll. Und Ihr habt sicher keine Wunde an ihr gefunden?« Noch ein Mann, dessen Stimme sie noch nie gehört hatte.
»Zahllose blaue Flecke, Peitschenstriemen, Abschürfungen, Zeichen von Fesseln um die Gelenke, aber keine Schnitte eines Dolches oder eines anderen Metallgegenstandes. Sie hat die Besinnung verloren, aber der Puls geht regelmäßig – und seht nur die rosige Haut ... Sie braucht Ruhe, dann wird sie alles überstehen ...«
»Ein Wunder«, wiederholte der andere. »Ich kann es mir einfach nicht erklären.«
»Erklärt es mit Schlamperei. Mit Nachlässigkeit!«, entgegnete die erste Stimme mit einem seltsamen Lachen. »Normalerweise sollte der Burggraben einer solchen Festung mit Wasser gefüllt sein. Vielleicht auch mit übel riechendem Schlamm aus den Abtritten, aber dieser hier ist seit Jahren nicht mehr gesäubert worden. Der
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