Ysobel – Das Herz aus Diamant
Unrat im Verein mit den Blättern und dem wuchernden Schilf hat eine weiche, kaum vom Wasser bedeckte Matratze für die Ärmste gebildet. Der Schock des Aufschlags hat ihr die Besinnung geraubt, aber sie hat sich nicht einmal etwas gebrochen.«
»Dem Himmel sei Dank!«, antwortete der andere erleichtert.
»Im Grunde ist es jedoch nur der Hartnäckigkeit der kleinen Magd zu verdanken, dass sie rechtzeitig gerettet wurde. Sie hat sich auf eigene Faust auf die Suche nach ihrer Dame gemacht, nachdem sich niemand bereit fand, wegen eines Leichnams auf der Stelle eine aufwändige Suche anzuordnen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie groß mein Erstaunen war, als sie mich zu ihrer leblosen Gestalt zerrte, die auf einem Bett aus Schlingpflanzen lag und unzweifelhaft noch atmete! Eine Nacht bei diesem Regen, und sie wäre elendiglich ertrunken in ihrer Ohnmacht!«
Ysobel lauschte mit zunehmender Verblüffung. In der sicheren Erkenntnis, dass die Geschöpfe der Hölle wohl kaum in einer solchen Weise über sie sprechen würden, schlug sie die Augen auf, auch wenn es ihr schwerfiel. Die beiden Männer am Rande des Alkovens bemerkten es nicht, und so blieb ihr Zeit, sie blinzelnd zu mustern. Einer von ihnen trug die schmucklose dunkle Wollkutte und den Oberwurf eines Mönches. Seine scharfen Züge und die ausgeprägte Nase verliehen ihm das Aussehen eines traurigen Wasserspeiers. Unzweifelhaft war er der Leibarzt des anderen, den sowohl seine prächtige Kleidung wie auch die breite Goldkette mit dem Wappen auf seinem Wams als mächtigen Seigneur auswiesen.
»Wenn sie indes nicht bald zu sich kommt, wäre zu überlegen, ob man die Blutegel ansetzen sollte«, fuhr der Mönch fort. »Vielleicht haben die schlechten Säfte ihres Körpers durch den Sturz die Oberhand genommen und müssen erst entfernt werden, damit sich die Dame wieder besser fühlt ...«
Ysobels leiser Laut des Ekels ließ beide Männer herumfahren. Der Mönch nickte befriedigt, als er sah, dass sie die Augen geöffnet hatte und ihr Blick klar war.
»Wie fühlt Ihr Euch?«
»Grässlich ...«, wisperte Ysobel. »Mein Kopf dröhnt und ... wo bin ich? Wer seid Ihr? Was ist passiert? Ich dachte, ich sei tot?«
Der Seigneur mit der Goldkette brach in erleichtertes Gelächter aus und umfasste Ysobels Hand mit einer Zartheit, die im krassen Widerspruch zu den Schwielen stand, die auf seiner Handfläche verrieten, dass er sowohl die Zügel als auch das Schwert regelmäßig gebrauchte.
»Dem Himmel sei Dank, dass Ihr nicht tot seid, Ysobel de Locronan.«
»Ich bin gefallen ...«, versuchte sie sich zu erinnern.
»Und dank Eures Schutzengels in einem weichen, federnden Bett aus Gülle, Unrat und Schlingpflanzen gelandet«, entgegnete der Herzog freundlich. »Eure spitznasige kleine Magd hat Euch gefunden und mit energischer Stimme dafür gesorgt, dass man Euch ins Haus getragen und unter die Obhut meines Leibmedikus gestellt hat.«
»Ihr seid ...«
»Euer Lehnsherr, meine Tochter!«, übernahm der Mönch die Vorstellung. »Seine Gnaden Jean de Montfort, Herzog dieses Landes und Kronvasall des Königs von Frankreich. Ihr solltet ihm für seine Sorge um Euch danken!«
In Ysobels goldbraunen Augen glomm eine Mischung aus Verständnislosigkeit und neu erwachender Hoffnung auf. Dennoch nahm sie kein Blatt vor den Mund.
»Sie kommt ein wenig spät, die Sorge ...«, murmelte sie kaum hörbar.
Flüchtige Röte färbte die Stirn des Herzogs. Er war sich des Vorwurfs in diesen Worten sehr wohl bewusst. Schließlich hatte er das Leben dieser jungen Frau geringer geachtet als die Anforderungen der Politik.
»Ihr werdet für all die Unbill und die Angst entschädigt werden«, versprach er. »Ich bin mir der Tatsache sehr wohl bewusst, dass ich tief in Eurer Schuld stehe, Ysobel von Locronan!«
Jetzt war es an Ysobel zu erröten. Sie hatte keine Mördergrube aus ihrem Herzen gemacht, aber sie beabsichtigte auch nicht, den Herzog für eine Entscheidung zu erpressen, die sie durchaus nachvollziehen konnte. Er hatte schließlich keine andere Wahl gehabt.
»Verzeiht!« Sie versuchte sich aufzurichten, sank aber mit einem leisen Laut der Qual wieder zurück, weil glühende Pfeile durch ihren Körper zuckten.
»Ihr habt alles Recht der Welt, über mich zu verfügen«, raunte sie. »Locronan hat Euch in unvorstellbarer Weise Schande bereitet. Mein Bruder hat mit dem Leben dafür gesühnt und so, wie es aussieht, seine Gemahlin mit ihrem Geist. Das Lehen ist Euer! Ich erhebe
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