Zaduks Schädel
wiederum schimpften, sie fühlten sich auf den Arm genommen.
Balzac kaute auf seiner Schwarzen und wartete ab, bis sich die Gemüter beruhigt hatten. »Er ist tatsächlich so alt. Dieser Zaduk stammt aus Atlantis.«
»Das hat es nicht gegeben!«
»Doch, ich weiß es besser. Es ist versunken, aber einiges hat überlebt. Ihr seid die Auserwählten, denn ihr werdet einen Rest dieses Kontinents kennenlernen.«
»Ist Zaduk denn ein Mensch?«
»Nein, ein Schädel. Ein gewaltiger, weißblau schimmernder Knochenschädel.«
Jetzt sprach keiner mehr, und Yves wollte auch keine weiteren Erklärungen geben. Er erkundigte sich nur noch einmal, ob sie ihm vertrauten und ging erst weiter, als es alle bestätigt hatten. Um hochfahren zu können, mußten sie zahlen. Das erledigte Yves für alle.
Dann stiegen sie in die Fahrstühle.
Es wurde eine kurze Fahrt. Neben Yves stand die Kleine und drückte ihren Körper gegen den seinen. Hin und wieder strich er über ihre Figur, was sie lächelnd zur Kenntnis nahm, denn sie fühlte sich geschmeichelt, von Yves begehrt zu werden.
»Junge Männer mag ich nicht«, sagte sie plötzlich.
»Wir werden sehen.«
»Sagst du mir mehr über Zaduk? Ist er interessant?«
Yves strich über ihren Nasenrücken. »Unwahrscheinlich interessant und auch geheimnisvoll, wenn du verstehst. Er kennt die Geheimnisse der Antike, er ist einfach wunderbar. Man muß ihm nur vertrauen, und er braucht uns.«
»Wozu?«
»Theater, cherie. Wir werden gemeinsam später auf einer Bühne stehen und Theater spielen. Er wird sich seine Schauspieler holen, und nicht allein aus Paris.«
»Wo werden wir auf der Bühne stehen?«
»In London!«
Das Mädchen erschrak. Hätte es mehr Platz gehabt, wäre es zurückgegangen, so aber blieb es stehen und schaute nur zu Yves hoch.
»Das… das sagst du doch nur so — oder?«
»Nein, es ist wahr.«
»Aber wie sollen wir nach London kommen? Mit dem Flugzeug? — Ich fliege nicht gern.«
»Zaduk sorgt für uns.«
»Da bin ich aber gespannt.«
»Das kannst du auch sein.«
Sie hatten sich auf der höchsten Aussichtsplattform verteilt, wo es immer windig war, auch wenn die Luft in den Straßenschluchten der Stadt stand und kaum geatmet werden konnte.
Außer ihnen befanden sich noch andere Besucher in dieser Höhe. Menschen, die fremd in Paris waren und die Gruppe der Einheimischen mit argwöhnischen Blicken bedachten. Sie hielten sich fern von ihnen, was Yves und seinen Freunden sehr recht war, denn sie mußten sich um andere Dinge kümmern.
Sie hatten sich dort hingestellt, wo tief unter ihnen das blau aussehende Band der Seine floß, auf deren Wellen ab und zu Eichtreflexe tanzten. Ihr Blick glitt über Paris hinweg in Richtung Nordwesten und bis zum Bois de Bologne.
Ein Himmel wie gemalt spannte sich über ihre Köpfe. Ein weites Tuch, deren Dunkelheit hin und wieder durch das Blitzen eines Sterns unterbrochen wurde.
Die dreiunddreißig Personen hatten das Glück, sich nebeneinander aufbauen zu können. Sie alle schauten in eine Richtung, der Wind trocknete ihre Gesichter vom Schweiß, aber sie bekamen nichts zu sehen.
Zaduk zeigte sich nicht.
»Wann kommt denn dein Besuch?« fragte Max, der Wirt. Er hatte sich neben Yves gestellt. »Keine Sorge, du wirst ihn bald sehen.«
»Wie sieht er denn aus?«
»Bleich«, erwiderte Yves, »sehr bleich und auch sehr knochig. Ein ungewöhnlicher Dämon.«
»Wie? Dämon?« Rami hatte es gehört und die Worte gekreischt. Er wollte sich drehen, um den anderen Bescheid zu geben, aber Yves war schneller und hielt ihn eisern fest.
»Keinen Laut, mein Freund. Kein Wort zu den anderen. Zaduk würde dich vernichten.«
»Dann… dann ist er gefährlich?«
»Für seine Feinde ja. Wer jedoch zu ihm hält, den wird er nicht vergessen.«
»Und das stimmt wirklich alles, was du gesagt hast?« fragte der Wirt mit leiser Stimme.
»So ist es.«
Max konnte es nicht fassen. Zum erstenmal hatte er Yves von einer anderen Seite kennengelernt, und er fragte sich, was er überhaupt von ihm gewußt hatte?
Eigentlich nichts. Yves war immer ein guter Gast gewesen, der Land und Leute kannte und in die Welt hineinpaßte. Jetzt zeigte er sich verändert, so anders, so ernst und mit einem Blick versehen, der irgendwie lauernd und wissend zugleich war.
Max zog Rami zu sich heran und wisperte: »Laß ihn mit deinen Fragen zufrieden.«
»Ja, werde ich auch.«
Plötzlich hob Yves Balzac den rechten Arm, um über die Brüstung hinwegzudeuten.
Weitere Kostenlose Bücher