Zaduks Schädel
worüber sie nachdenken konnte. Sie sah nur das große, widerliche Maul und das sich bewegende, rötliche Innere, das zuckte, aufquoll, zitterte, als wäre das Maul mit einem rötlichen Sumpf gefüllt worden.
Dann schnappte es zu.
Cabrini lachte. Carlotta konnte an nichts anderes mehr denken. Ein nie erlebter Geruch umwehte sie, einfach widerlich, nach Moder und Fäulnis stinkend, als würde das gesamte Innere allmählich verwesen. Die Knie gaben ihr nach. Normalerweise hätte sie sich nicht mehr auf den Füßen halten können, aber Cabrini hielt sie so umfangen, daß sie nicht fallen konnte.
»Schau hin, Carlotta, schau hin. Ich habe von dergroßen Überraschung gesprochen. Wir sind der Anfang, die anderen wird er sich noch holen. Alle Gäste, verstehst du? Seine Zunge ist mächtig genug, um abräumen zu können.«
Carlotta hörte die Worte zwar, allein ihr fehlte der Glaube. Es war unmöglich, so etwas zu begreifen. Das war Grauen pur. So etwas hatte es nicht einmal in irgendwelchen Filmen gegeben.
Wie vom Wahnsinn unklammert wirkte dieser Mensch, der ihr plötzlich so fremd vorkam. Sie zuckte und keuchte. Immer dann hatte sie das Gefühl, ihre Lungen und der Magen würden sich mit einer Wolke aus Moder füllen.
Sie schwebten tatsächlich weiter, überquerten die Mauer… Vieles hatte sich für Carlotta verändert, trotzdem war die Umgebung normal geblieben. Sie befanden sich jetzt über der Terrasse, schwebten lautlos wie auf einer Wolke. Der Schädel brauchte sich nur um den Vorsprung zu drehen, um dorthin zu gelangen, wo die anderen Gäste feierten.
Da geschah es!
Carlotta hatte die bisherigen Vorgänge nicht fassen können und begriff das andere auch nicht.
Wie aus dem Nichts standen zwei Gestalten auf der Terrasse. Ein kleiner Mann mit grünlich schimmernder Haut, einem langen Mantel und eine Frau, deren schwarze Haarflut ein bleiches Gesicht umwallte. Sie war auch so faszinierend, doch am ungewöhnlichsten war das Schwert, dessen Griff sie mit der rechten Hand festhielt. Es besaß eine goldene Klinge…
***
Yves Balzac war sehr zufrieden, denn er hatte genau zweiunddreißig Menschen gezählt, die ihn begleiteten.
Sie nahmen nicht die Metro, sie gingen durch Paris. Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, wuchs ihre innere Kraft und das Wissen, es den anderen zu zeigen.
Da sie sich Zeit lassen konnten, gingen sie parallel zur Seine. Sie sahen links von sich den Quai D'Orsay, wo die Massen strömten, die Autos hupten und mit ihren Abgasen die stickige Luft noch mehr verunreinigten. Paris kochte, die Stadt befand sich in einem Taumel. Das Feiern nahm kein Ende, und natürlich war auch der gewaltige Eiffelturm miteinbezogen worden. Selten zuvor war er von so vielen Gästen besucht worden. Die Busse karrten die Menschen scharenweise heran, die nach ihrem Besuch durch den den Turm umgebenden Park spazierten und nie genug von ihm bekommen konnten, denn pausenlos klickten die Kameras.
Die Gruppe erreichte ihr Ziel, als die größte Hitze verschwunden war und die Dämmerung ihre langen, grauen Schatten über den Himmel schob. Erste Lichter flammten auf. Auch der Turm erstrahlte, als wäre er kurz zuvor erst geputzt worden.
Noch herrschte in seiner unmittelbaren Nähe viel Betrieb. Die Verkäufer der kleinen Imbißbuden, die ihr Zeug überteuert abgaben, hatten alle Hände voll zu tun, um hungrige Mäuler satt zu bekommen. Dazwischen hatten Künstler ihre Plätze gefunden. Sie malten Szenen aus dem Jahr der Revolution. Musiker spielten alte Weisen, oft übertönt vom Hupen der Busfahrer, die ihre schweren Fahrzeuge aus den Parklücken bringen wollten. Nicht weit von der tschechoslowakischen Botschaft entfernt blieben sie stehen. Yves sammelte seine Schäfchen um sich und deutete hoch zum Turm.
»Da werden wir bald sein.«
»Und was ist dann?«
Es war die Kleine, deren Hinterteil er getätschelt hatte. Sie stand neben ihm. »Mach dir keine Sorge, cherie. Zaduk wird alles weitere für uns unternehmen.« Er hatte den Namen ausgesprochen und schaute in die staunenden Gesichter, denn niemand wußte, wer Zaduk war.
»Ihr kennt ihn nicht?«
Auch Max und Kami waren mitgekommen. »Nein!« rief der Wirt, »woher sollen wir ihn kennen?«
»Er ist alt, uralt!« erklärte Yves. »Und er ist einfach wunderbar, wenn ihr versteht.«
»Wie alt? Zehn Jahre, hundert oder noch mehr?«
»Noch mehr. Zehntausend.«
Yves hatte laut gesprochen. Jeder hörte die Zahl, aber niemand wollte es glauben. Einige lachten, andere
Weitere Kostenlose Bücher